Das Museum unserer Herzen. Agnes und Karlheinz Essl im Dialog

Karlheinz Essl:

Zurückzublicken war für mich noch nie einfach. Ich habe mein ganzes Leben lang nach vorne geschaut und dabei immer nach Antworten gesucht. Es war mir vergönnt, schon sehr früh das zu entdecken, was sich, neben meiner Familie, als der wichtigste Inhalt meines Lebens herausstellen sollte: die zeitgenössische Kunst. In der Beschäftigung mit der Kunst habe ich gelernt, dass das Leben unendlich viele Facetten hat und dass Grenzen nur in unseren Köpfen existieren. Beseelt von diesem Wissen, haben meine Frau und ich immer die Nähe zu Künstlerinnen und Künstlern gesucht. Zuerst als junges Paar in einer neuen, faszinierenden Stadt, dann als Ehepaar und Familie in Österreich. Nun ist es einmal Zeit, Bilanz zu ziehen. Die Umstände dafür waren nicht vorauszuahnen. Aber auch das ist ein Teil des Lebens.

Agnes Essl:

Ich blicke gerne zurück, denn wir haben wahrlich viel erreicht und ich bin sehr dankbar dafür. Eines war klar, auch als wir noch ganz jung waren: Wir haben schon damals erkannt, dass es uns ernst ist mit der Kunst. Ich erinnere mich noch, als wir die ersten Ausstellungen in unserem Privathaus gemacht haben. Wir wollten unsere Freunde von dieser Kunst begeistern, von der wir selbst so begeistert waren. Eines Tages kam dann der Moment, wo wir uns darüber im Klaren waren, dass wir unsere anwachsende Sammlung nicht mehr im stillen Kämmerlein aufheben können. In dieser Zeit haben wir das Schömer-Haus gebaut. Dort sollte unsere Sammlung, in der Firmenzentrale von bauMax, einen guten und sicheren Platz bekommen. Damals haben wir auch Heinz Tesar kennengelernt. Sein Entwurf für das Schömer Haus war mit großem Abstand der beste. Niemand anderer wäre in Frage gekommen, um mit uns den nächsten und größten Schritt zu verwirklichen: der Sammlung ein eigenes Museum zu geben und für wirklich viele Menschen zugänglich zu machen.

Karlheinz Essl:

Tesars Museumsbau zählt heute zu den bedeutendsten Architekturikonen Europas. Tesar hat genau verstanden, was ein Museum sein muss. Seine Architektur macht das Tageslicht zum Regisseur und räumt der Kunst die Hauptrolle ein. Als wir 1999 das Essl Museum eröffneten, waren wir eines der ersten Privatmuseen im deutschsprachigen Raum. Nach seinem Vorbild haben viele andere Sammlerinnen und Sammler ihre Museen gebaut. Seine Lage zwischen Donau-Auen und Weinbergen ist genau der richtige kontemplative Ort für Kunst.

Agnes Essl:

Die Idee dafür hat uns der Künstler Jörg Immendorff geschenkt. Und er hat diese Ideenfindung verewigt in der großen Werkserie „In meinem Salon ist Österreich“. Ursprünglich wollten wir ein Museum in Wien gründen. Dies hat sich aber als sehr kompliziert erwiesen. Jörg ist zu uns gekommen und hat gemeint: Warum baut ihr dieses Museum nicht in Klosterneuburg? Meinem Mann und mir ist ein Licht aufgegangen. Kunst braucht einen Platz zum Atmen.

Karlheinz Essl:

Ich glaube, dass jeder Mensch eine Rolle in dieser Welt hat. Niemand ist einfach nur so geboren worden. Die Rolle von meiner Frau und mir ist es, der Kunst eine Plattform zu geben, ihr zur Sichtbarkeit zu verhelfen und sie den Menschen zu vermitteln. Für uns war es immer wichtig, was Künstlerinnen und Künstler denken. Alle unsere Ausstellungen haben wir in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit ihnen realisiert. Mit einigen aber haben wir wirklich Neuland betreten. Etwa die erste Präsentation der Kunst aus den Ländern Ex-Jugoslawiens nach den Kriegen, die erste gemeinsame Ausstellung israelischer und palästinensischer Künstlerinnen und Künstler, die weltweit erste Museumsausstellung der Neuen Leipziger Schule der Malerei, die erste Schau chinesischer Kunst, die erste Ausstellung der Kunst der Aborigines aus Australien. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Sie zeigt, dass wir mit dem Museum viel bewirken konnten. In den vielen Publikationen, die im Laufe von 17 Jahren entstanden sind, haben wir all das gut dokumentiert.

Agnes Essl:

Mir sind die Künstlerinnen besonders am Herzen gelegen. Ich glaube, dass Frauen in der Kunst lange nur die zweite Geige gespielt haben. Deshalb habe ich insbesondere auch in der Präsentation den Künstlerinnen eine Plattform geben wollen. Einige der stärksten Ausstellungen des Essl Museums wurden von Frauen getragen. Maria Lassnig ist ohnehin die bedeutendste malerische Position, die es in der österreichischen Kunstgeschichte seit 1945 gibt. Aber auch junge Künstlerinnen wie Deborah Sengl haben mit Ausstellungen hier für großes Aufsehen gesorgt. Die vielen wunderbaren weiblichen Positionen, die, wie ich glaube, schon eine eigene, sensiblere Sprache sprechen, wollte ich aufs Podest heben. Das habe ich zuletzt mit der Ausstellung Die andere Sicht getan.

Karlheinz Essl:

Mir ist es ein Anliegen, junge Kunst zu präsentieren. Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind, wenn sie in Museen ausstellen, schon über 50. Mit dem Essl Museum haben wir der jungen Kunst ihren berechtigten Platz eingeräumt. Einerseits der österreichischen jungen Kunst, andererseits haben wir auch immer andere Weltgegenden untersucht. Kunst bedeutet immer, die Suche nach dem Neuen zu wagen. Ich habe festgestellt, dass es wichtig ist, sich diese Neugier zu erhalten. Wenn ich heute ein neues Werk sehe, das mich begeistert, dann ist es dieselbe Begeisterung wie damals, als ich als junger Mann vor einem Werk stand. Das Auf und Ab der Geschäftswelt, die schwierigen Situationen, der Kampf um Museum und Sammlung – nichts von alledem konnte meine Liebe zur Kunst schmälern.

Agnes Essl:

Sie hat uns doch immer Sinn gegeben, die Kunst. Wir sind wirklich viel gereist und haben Museen, Künstlerinnen und Künstler in aller Welt besucht. Das Essl Museum wurde aber unser Hafen, in den wir immer zurückgekehrt sind, mit immer neuen Ideen und Entdeckungen. Mir haben diese Dinge deshalb so viel Spaß gemacht, weil wir sie hier im Museum mit den Besucherinnen und Besuchern teilen konnten. Wir haben etwas Großartiges gesehen, haben es hergeholt und allen Menschen gezeigt.

Karlheinz Essl:

Als wir zu sammeln begonnen haben, war Kunst in der Öffentlichkeit nicht so populär wie heute. Als wir das Museum gebaut haben, war Kunstvermittlung noch für viele ein Fremdwort. Wir wollten der Kunst den Weg ebnen. Ohne dabei selbst im Mittelpunkt zu stehen. Der Kern all dieser Tätigkeiten war und ist die österreichische Kunst.
Es war, und auch das muss ich sagen, nicht immer einfach. Wer mit Kunst arbeitet, weiß, dass darin viel kritisches Potential liegt, und dass diese nicht immer den Geschmack der Massen trifft. Oft bin ich missverstanden worden, absichtlich oder unabsichtlich. Aber ich will darüber nicht klagen. Mich hat immer die Liebe zur Kunst angetrieben. Ohne Ausnahme. Wir alle müssen uns den Herausforderungen des Lebens stellen. Aber wann immer ich auch die Möglichkeit hatte, mit einer Künstlerin oder einem Künstler zu sprechen, etwas Neues kennenzulernen, dann habe ich sie ergriffen. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Mit dem Essl Museum haben wir einen Ort der Begegnung zwischen Mensch und Kunst geschaffen. Das Museum war und ist eine Vision, und dafür bin ich sehr dankbar.

Agnes Essl:

Dankbar ist das richtige Wort. Wenn ich mich heute an die Eröffnung des Museums erinnere und dann denke, was seither alles geschehen ist, dann bin ich sehr dankbar. Mit dem Museum haben wir etwas verwirklicht, was wir nie zu träumen gewagt hätten. Heute blicken wir sehr stolz auf das zurück, was wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Künstlerinnen und Künstlern, unseren Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern und unserer Familie geschaffen haben. Die Beendigung des Ausstellungsbetriebs ist neben der Trauer, die wir dabei empfinden, doch auch kein wirklicher Abschied. Denn überall wo man hingeht, bleiben Spuren. Das wunderschöne Museum von Heinz Tesar ist und bleibt.

Karlheinz Essl:

Der Essl Museum als Architekturikone wird bleiben. Ebenso wie die Sammlung Essl bleiben wird. Was das betrifft, was hier in den letzten 17 Jahren alles gemacht wurde, die vielen Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und die vielen Kunstvermittlungsaktivitäten, so spüre ich schon jetzt, dass dies einen Nachhall haben wird. Diese Begegnungen mit Kunst und Künstlern haben viele Menschen dazu befähigt, Kunst zu lieben. Das ist gerade in der heutigen Zeit von allergrößter Bedeutung. Deshalb blicke ich nach 17 Jahren Essl Museum weiter nach vorne.

Agnes Essl:

Viele Menschen aus aller Welt haben das Essl Museum besucht. Sie waren alle willkommen und haben sich sehr wohl gefühlt. Das haben sie uns oft mitgeteilt, in unseren Gästebüchern, per Brief, E-Mail oder persönlich. Viele Menschen haben hier ihre Seele wieder aufgetankt. Das Haus war immer belebt. Kinder haben gelacht und sind ungezwungen herumgetollt. Die Menschen mussten nicht still sein und ehrfurchtsvoll Kunst betrachten. Sie konnten lachen, plaudern und sich in die Liegestühle legen.

Karlheinz Essl:

Das hat dazu geführt, dass die Menschen länger im Essl Museum geblieben sind. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die Verweildauer im Essl Museum bei durchschnittlich zwei Stunden pro Besucherin oder Besucher liegt und damit doppelt so lang ist wie die Verweildauer in anderen Museen.

Agnes Essl:

Wir möchten noch einmal zeigen, was das Essl Museum in 17 Jahren alles zustande gebracht hat, und wie sehr die Menschen es lieben. Wenn uns nun jemand die Frage stellen würde, wie man das, was am Essl Museum besonders war, in einem Satz zusammenfassen könnte, dann würde ich sagen: Das Essl Museum ist ein Museum für Herz und Seele.


 

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