Persönliche Daten
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„Wir stehen hier genauso herum wie du. Nicht mehr, nicht weniger...“ 1
Der deutsche Bildhauer Stephan Balkenhol wurde mitte der 80er Jahre bekannt durch seine statuarischen Holzskulpturen, die
eine geheimnisvolle und zeitlose Wirkung in sich bergen. Auf den ersten Blick präsentieren sie sich höchst naturalistisch,
wie das Abbild eines einfachen, normalen Menschen. Bei näherer Betrachtung erkennt man eine relativ expressive Oberflächenbehandlung,
die der fast ausdruckslosen Figur entgegenwirkt.
Balkenhols Menschenbilder sind geprägt von Gegensätzen: Zum einen sind sie formalisiert, wie jederman, oder jedefrau, der
man täglich begegnet, zum anderen wirken sie wiederum ziemlich individuell, was vor allem für die Gesichter zutrifft. Ihre
Wirkung ist eher zurückgenommen und unaufdringlich, mit emotionsloser Mimik und simplen Körperhaltungen. Und doch nehmen sie
mit einer unglaublichen Präsenz den Raum ein.
Seine Skulpturen strahlen eine friedliche Gelassenheit und fast schon Gleichgültigkeit aus, die in eigentümlicher Weise unser
zeitgenössisches Menschenbild widerspiegelt. Der Betrachter erkennt sich in der Figur wieder, vielleicht ist dies auch ein
Grund dafür, weshalb die Skulpturen im Öffentlichen Raum eine hohe Akzeptanz erreichen.
Der Wiedererkennungseffekt von Balkenhols "Brands" ist sehr groß: Jede Figur wird aus einem einzigen Baumstamm herausgearbeitet,
wobei der untere Teil sichtbar erhalten bleibt und als Sockel fungiert. Der Umfang des Baumes gibt also auch immer das Volumen,
bzw. den Bewegungsraum der entstehenden Figur vor. Nachdem „man normalerweise keinen nackten Menschen begegnet“ 2, bekleidet Balkenhol seine Figuren mit einfacher, alltäglicher Kleidung. Männer tragen meist schwarze Hosen und weiße Hemden,
Frauen ein simples Etuikleid.
Alle Skulpturen werden von Balkenhol eigenhändig, ohne Assistenten und mit nur minimalem Maschineneinsatz angefertigt. Einem
obsessiven Handwerker gleich, möchte Balkenhol „von A bis Z den Produktionsprozess in der Hand haben; […].“ 3, von der ersten Markierung am rohen Holzblock bis zur finalen Bemalung der Figur.
Die wesentlichste Funktion der Farbe ist das Betonen der jeweiligen plastischen Wirkung: die Figuren erhalten eine Lebendigkeit,
sie wirken moderner und zeitgenössischer, wie vom Leben imprägniert. Somit stehen seine Werke auch ganz im Gegensatz zum klassischen
Skulpturenbegriff, wo die Materialien Marmor oder Bronze vorherrschen.
Reale Größenverhältnisse werden spielerisch umgangen, indem er seine Holzfiguren entweder deutlich kleiner oder deutlich größer
als im normalen Leben gestaltet. Das Werk „Head of a Man“ von 1992 für den öffentlichen Raum geschaffen, demonstriert sehr
gut, wie durch Monumentalisierung jeder Anschein von Portraithaftigkeit aufgehoben wird. Sichtbar bleibende und wegstehende
Holzspäne, eine grob behauene, kantige Oberflächenstruktur sowie das Miteinbeziehen der Holzmaserung sind typisch für Balkenhols
Handschrift. Eine von Kerben und Hieben gezeichnete Holzoberfläche demonstriert auch eindringlich den Entstehungsprozess der
Skulptur.
Die Bandbreite seines Werks ist bereits enorm: Von der Ganzfigur, über Büste und Kopfdarstellungen bis zum Relief sind alle
Sujets der Gattung Skulptur vertreten. Auf spielerische Weise entstehen Kombinationen von Mensch- und Tierdarstellungen, sowie
Figuren mit Architekturelementen. Seit 2004 fertigt er für seine Skulpturen jeweils passende paraventartige Holzreliefs als
Hintergrund an, wodurch die Figuren in ein spezielles Bühnenambiente eingebettet werden. Besonders bei den kleineren Skulpturen
entsteht hier der Eindruck von Spielzeugfiguren.
Wie ein moderner Gepetto erschafft sich Balkenhol ganze Serien mit tanzenden Paaren, gleichgültig abwartenden, stehenden Männern,
aber auch eine Fußballmannschaft oder eine Schar von Pinguinen, die erhöht auf Sockeln stehend den White Cube bevölkern. Jedoch,
die scheinbar serielle Anfertigung täuscht: Jede einzelne Figur wird neu erfunden und individuell gestaltet. Gerade in diesen
zahlreichen Variationen lässt sich Balkenhols Meisterschaft entdecken.
Annette Stein
1) Christian Michelsen, „Skeptizismus und die Skulpturen Stephan Balkenhols“, in: Stephan Balkenhol, AK Deichtorhallen, Hamburg: Snoeck Verlag, 2008, S. 37.
2) Zit. Balkenhol, in: Stephan Balkenhol. Skulpturen, AK Von der Heydt-Museum, Wuppertal u.a., 1998, S. 15.
3) Zit. Balkenhol aus: Klaus Theweleit, „Meine eigene Pop-Art erfinden“, in: Stephan Balkenhol, AK Deichtorhallen, Hamburg: Snoeck Verlag, 2008, S. 118.