Foundation Course in Art & Design am Newcastle Polytechnic, BA Honours, Fine Art, Painting
Zum Werk
„Viele Menschen glauben, dass das Bindi ein traditionelles Symbol für Heirat ist, aber tatsächlich ist es mit der Bedeutung
eines dritten Auges besetzt eines, das eine Verbindung zwischen der realen und den spirituellen Welten verbindet.“1
Bharti Kher ist eine der bekanntesten zeitgenössischen indischen Künstlerinnen. Ihr Werk umfasst Malerei, Fotografie, Skulptur
und Installation. Fragen nach Identität, sozialen Rollen und indischen Traditionen sind Themen, die Kher vordergründig interessieren.
In den Skulpturen verbindet sie tierische und menschliche Körperteile und schafft damit erstaunliche weibliche Mischwesen.
Der Betrachter wird bei diesen Figuren mit einer Mischung aus aggressiv zur Schau getragener Sexualität und Monstrosität konfrontiert.
1995 hatte Kher ein einschneidendes Erlebnis. Sie begegnete einer Frau, deren Stirn von einem spermienförmigen Bindi geschmückt
war. Die Künstlerin kaufte in einem Laden alle Bindis auf und verarbeitete sie in ihrem Skizzenbuch. Oftmals bezieht sie Bindis
die populäre Stirndekoration, die von indischen Frauen getragen wird mit in ihre Arbeit ein. Der konzeptuelle Hintergrund
dieses Schmuckes, der rituelle repetitive Akt des Aufklebens, wird von der Künstlerin in Bildern und Skulpturen umgesetzt.
Khers „Bindi-Malereien“ sind abstrakt und ästhetisch und werden auf bemaltem Karton in unterschiedlichsten Formationen aufgeklebt.
Sie sind mit Mustern des Exils oder der Zuwanderung kodiert.
In Khers lebensgroßer Skulptur „The Skin Speaks a Language Not Its Own“ (2006), die 2009 im Essl Museum zu sehen war, überziehen
weiße, spermienförmige Bindis die gesamte Gestalt eines grauen Elefanten, der aus Fiberglas hergestellt ist. Der weibliche
Elefant ist liegend dargestellt. Vielleicht schläft er, es kann aber auch sein, dass er verletzt ist. In Europa steht ein
weißer Elefant für Torheit, in Asien ist er hingegen ein Zeichen für Glück. Die Bindis wurden zu Khers Markenzeichen. Die
Geschlechterrolle ist ein wichtiger Ansatzpunkt für viele ihrer Arbeiten. Kher reagiert auf die Unterdrückung indischer Frauen,
in dem sich ein Teil ihrer Skulpturen mit dem Thema der häuslichen Tyrannei auseinandergesetzt. Die Dualität, das Aufzeigen
von Gegensätzen ist eine weitere Komponente ihres Schaffens.
In den Jahren 2009 bis 2010 bezieht die Künstlerin ein bekanntes Fabelwesen in ihre skulpturale Gestaltung mit ein. In „The
Great Chase“ werden Körperteile von Pferd und Einhorn in einer Figur verbunden. Die Plastik ist aus Fiberglas, Farbe und Horn
gearbeitet und so bemalt, dass ihre Oberfläche einen hölzernen Charakter annimmt. Als Schaukelpferd präsentiert sich ein Tier,
das ein Pferdeohr und auf der anderen Seite des Kopfes ein Einhorn trägt. Kher vermischt so Realität und Märchenwelt und bringt
mit der Funktion als Schaukelpferd eine spielerische, auf das kindliche Umfeld bezogene Komponente in ihr Werk ein.
Elisabeth Pokorny-Waitzer
1) Pernilla Holmes zitiert Bharti Kher, aus: “Connecting the Dots”, in: Artnews, April 2009.