Die Zeitschrift für Fotografie und Medienkunst EIKON schrieb über Walter Niedermayrs Werk, auffällig sei „besonders seine
Arbeit mit der Farbe, die sich den Pastelltönen nähert, meistens im Gegensatz zum Standard der Fotolabors mit ihren dichten
und satten Farben überbelichtet, was die Bilder etwas mehr der Wirklichkeit entrückt und sie verblasst und durchsichtig erscheinen
lässt.“1
Walter Niedermayr gestaltet fotografische Serien, oft über mehrere Jahre lang aufgenommene Folgen von Räumen in Gebäuden oder
von Naturräumen: bekannt wurde er vor allem mit seinen alpinen Landschaftsausschnitten. Die Auseinandersetzung mit der Zivilisation,
mit der Unwirklichkeit von urbanen Orten, aber besonders mit touristischen Eingriffen in die Natur ist das Thema seiner Arbeit.
Er untersucht die Auswirkung von Massentourismus und Freizeitindustrie auf vermeintlich unverwüstliche Bergmassive. Der Fotograf
zeigt eine berührte Natur, eine durch infrastrukturelle Eingriffe, wie Liftanlagen und Schneeraupen benutzerfreundlich gemachte
Landschaft.
Gerade aber Liftanlagen und Schneeraupen hinterlassen Narben und veranschaulichen die Verletzlichkeit der Natur. Die Fotos
kontrastieren dadurch mit der von den Klischees der Hochglanzprospekte geprägten Wahrnehmung der Alpenwelt und lassen diese
in einem neuen Licht erscheinen. Niedermayrs Blick ist distanziert, aber nicht unpersönlich. Nicht eine vordergründige ökologisch-politische
Zivilisationskritik steht im Mittelpunkt, sondern eine subtile Wahrnehmungsarbeit, ein Sichtbarmachen der alpinen Wirklichkeit.
Niedermayr ordnet die Fotografien als Polyptychen an, die sowohl horizontal als auch vertikal aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt
sind. Von unterschiedlichen Standpunkten aus fotografiert, ergibt ihre Addition einen neuen, mehrschichtigen Raum, in dem
der Blick des Betrachters flanieren kann. Die Kombination von mehreren Blickpunkten in mehrteilige, ineinander verflochtene
Bildtableaux erfordert eine Umschichtung der Sehgewohnheiten. Einzelne Sequenzen überschneiden sich motivisch an den Bildübergängen
und ergeben in der Zusammenschau ein künstliches Panorama. Die Überbelichtung erzeugt einen hellen Grund, der die Flächigkeit
betont.
Das Diptychon „Shiga Kogen IV“ (2000) breitet in panoramahafter Weite einen schneebedeckten Schihang vor dem Betrachter aus,
worauf die rot gekleideten Schitouristen fast verloren wirken, sie verwandeln sich auf der Bildfläche regelrecht zum Ornament.
Auf dem C-Print „Bildrad“ (2006) ist eine Gebäudefassade ausschnitthaft wider gegeben, die zum Großteil aus verglasten Flächen
besteht. Der Blick geht durch das an der Vorderfront befindliche Glas, erfasst den Innenraum dahinter, wandert wieder durch
Glas und erreicht die hinter dem Gebäude liegende Häuserlandschaft. Die Überbelichtung bewirkt einen weichzeichnerischen Effekt
und lässt die Pastelltöne und hellen Abschnitte diffus aus dem Bild heraustreten. So überschreitet der Betrachter in Niedermayrs
Bildern Grenzen zwischen den einzelnen Abschnitten und erfährt die schier grenzelose Weite des Raums. Sein Blick kommt aus
der Distanz, taucht tief ein in das Bild, wandert von Abfolge zu Abfolge und wird somit Teil des abgebildeten Geschehens.
Günther Oberhollenzer und Elisabeth Pokorny-Waitzer
1) Michel Guerrin, „Walter Niedermayr, Zwischen Tradition und Auflösung“, in: EIKON Internationale Zeitschrift für Fotografie
und Medienkunst, Nr. 16/17, 1995/96, S. 5-12.