Dieter Roth

1930 geboren in Hannover, Deutschland
1998 gestorben in Basel, Schweiz

Dieter Roth

1930 geboren in Hannover, Deutschland
1998 gestorben in Basel, Schweiz

Persönliche Daten

1947-1951 Grafikerlehre in Bern
1953-1964 Herausgabe der Zeitschrift „Spirale“ zusammen mit dem Graphiker Wyss und dem Konkreten Dichter Eugen Gomringer
1955-1957 Arbeit bei einer Textildesign-Firma in Kopenhagen
1957 Umzug nach Reykjavik (sehr häufige Reisen nach Europa und Nordamerika)
1964 erster Lehrauftrag in der Architekturabteilung der Yale University
1968 documenta 4
1968-1971 Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Düsseldorf
1975-1987 Herausgeber der „Zeitschrift für Alles“
1986 Maastrichter Charles Nypels-Preis für seine Bücher
1990 Gründung der Dieter Roth Foundation, Hamburg
2002 documenta 11 (posthum)

Zum Werk

 
Dieter Roth war ein Künstler mit deutschen Wurzeln, schweizerischer Jugend und isländischer Wahlheimat. Er wird bisweilen als Universalkünstler bezeichnet, weil sein Werk fast alle erdenklichen künstlerischen Medien umfasst. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden seine Werke mit verderblichen Materialien wie Schokolade und Käse, seine Künstlerbücher und Editionen sowie seine grafischen Arbeiten. Jedoch schuf er auch wesentliche Werke in den Medien Poesie, Musik, Malerei, Skulptur, Installation, Fotografie und Video. Seine Arbeit wucherte immer wieder in unerwartete Richtungen und durch diese Komplexität scheint es schwer, Hauptwerke zu identifizieren und andere unter den Tisch fallen zu lassen. Jedoch ziehen sich einige Themen konsequent durch mehrere von Roths Schaffensphasen.
Durch Roths Editionen, wie zum Beispiel der Buchreihe „bok“ und den „Gesammelten Werken“ in 26 Bänden, offenbart sich eine Neigung zum Sammeln und Archivieren. Die zahlreichen Künstlerbücher Roths erschienen auf unterschiedliche Weise – einige sind Unikate, andere sind handgefertigte Editionen mit kleiner Auflagenzahl, wieder andere wurden zu tausenden gedruckt. Das ungestüme Experiment mit der Typographie, der Grafik, der Schriftsprache und der Präsentationsform eint alle von Roths Büchern. In anderen Werken kommt der Gedanke der Aufbewahrung noch stärker zum Tragen. 1973 sammelte Roth ein Jahr lang jedes Stück Hausmüll, welches er selbst produziert hatte und nicht dicker als drei oder vier Millimeter war. Er führte diese Stücke zusammen in der Installation „Flacher Abfall“ (1975/76) und präsentierte sie mit Klarsichthüllen in chronologisch sortierten Ordnern. Dieter Roth versteht seine Werksammlung „Flacher Abfall“ auch als eine Art Tagebuch oder sogar als Selbstporträt über die Dauer eines Jahres.
 
In dieselbe Kerbe schlägt auch die Video-Installation „Solo Szenen“, die 1997/98 entstand. Während eines Rekonvaleszenz-Aufenthaltes in Island und Basel filmte Roth mit einer fix angebrachten Kamera sein häusliches Leben und man erhält einen sowohl intimen wie auch banalen Einblick in seine täglichen Aktivitäten. Man sieht den Künstler beim Essen, Lesen, sich Waschen – und teilweise ist er gar nicht im Bild zu sehen aber das Band läuft dennoch weiter. Auf 128 Videobildschirmen in drei Holzgestellen wird das Filmmaterial präsentiert und es fällt ob des Überangebotes schwer, mit den Augen bei einem Monitor zu bleiben. Das Anhäufen von Materialbergen spielt hier ebenso eine Rolle wie das Aufbrechen der Grenze zwischen Kunst und Leben. Die Opposition zwischen dem Besonderem und dem Trivialen wird zur Synthese geführt.
Aber in seinem Bestreben nach Archivierung versucht Roth nicht unbedingt, die Zeit zu überdauern. Im Gegenteil, er schuf zahlreiche Arbeiten die scheinbar auf die eigene Zersetzung hinarbeiten. Mit organischen Materialien, hauptsächlich Lebensmitteln, kreierte Roth Kunstwerke die in den ersten Monaten und Jahren nach ihrer Entstehung noch stark schimmelten und faulten. Erst nach Austrocknung trat eine fragile Permanenz ein. Die Verwesung hat ihren eigenen ästhetischen Wert und man sollte ihr laut Roth nicht mit restauratorischen, sondern höchstens mit konservatorischen Maßnahmen begegnen.
Der Gedanke des Sammelns kommt auch in Roths Materialcollagen zum Tragen, drei solcher Objekte befinden sich in der Sammlung Essl. „Südliches Vergnügen“ von 1979/80 zum Beispiel zeigt zahlreiche Musikgeräte die chaotisch auf Holzplatten montiert wurden. Man sieht unter anderem Keyboards und Aufnahmegeräte mit grellem Farbanstrich. Durch das Material und den Titel möchte man an eine wilde Jamsession denken. Tatsächlich musizierte Roth öfter mit seinen drei Kindern und stellte dabei das eigene „Nichtkönnen“ in den Vordergrund. Die Betonung liegt auf dem Tun, nicht auf der konventionell korrekten Ausführung.
Die Improvisation pflegte Roth jedoch nicht nur in der Musik, sondern auch in Kollaborationen mit Künstlerkollegen. Besonders intensiv arbeitete er mit Richard Hamilton und Arnulf Rainer zusammen. Gemeinschaftsarbeiten von Roth und Rainer befinden sich ebenfalls in der Sammlung Essl. Die beiden nannten Teile ihrer gemeinsamen Arbeit „misch- & trennkunst“ und bewegten sich hauptsächlich auf dem Feld der Malerei, Grafik und Fotografie. Durch diese Kollaborationen sowie durch Werke wie die Gartenskulptur, die sich mit der Zeit und Einwirkung Dritter verändern, wird Folgendes deutlich: Die partielle Aufgabe der eigenen Gestaltungshoheit ist ein wesentlicher Teil von Roths künstlerischer Strategie.
 
Benjamin Rowles
 
Dieter Roth im Essl Museum, 19951 / 3
Südliches Vergnügen, 19792 / 3
Interieur mit Rückblick, 19883 / 3
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