Studium an der Hochschule für angewandte Kunst, Wien und an der Akademie der bildenden Künste, Wien
Zum Werk
"Bildhauerei ist Arbeit am Volumen … Zu- und Abnehmen ist Bildhauerei." 1
Erwin Wurm gehört zu den international erfolgreichsten Künstlern Österreichs. Mit seinem Namen ist untrennbar die „Erweiterung
des Skulpturenbegriffes“ verbunden. Wurm spielt mit dem Grenzbereich zwischen Skulptur, Aktion und Performance und hat das
Feld der Bildhauerei um entscheidende Akzente erweitert. Sein Werk umfasst Skulpturen, Installationen, Aktionen, Videos, Fotografien
und Zeichnungen. Die zentrale Fragestellung des Künstlers lautet: „Kann ich mit dem Begriff des Skulpturalen den Alltag und unsere Zeit bearbeiten und eine neue Perspektive oder neue Interpretationsmöglichkeit
gewinnen?“2. Alles kann bei Wurm zur Skulptur werden: Handlungen, geschriebene, fotografierte oder gezeichnete Anweisungen, selbst ein
Gedanke.
Sein künstlerisches Schaffen spannt sich von frühen Staubskulpturen (Ende der 1980er Jahre) über die bekannten „One Minute
Sculptures“ (ab den 1990er Jahren) – bei denen Personen mit Alltagsgegenständen innerhalb einer Ausstellungssituation posieren
oder Fotografien von „Skulpturen“ angefertigt werden – bis hin zu den Raum füllenden „Fat Cars“ oder „Fat Houses“ (ab 2001).
Wurm interessiert es, die Maßstäbe von Dingen zu verändern: Statussymbole, wie Autos oder Häuser, werden fett, andere, wie
das Guggenheim-Museum, beginnen zu schmelzen („Guggenheim melting“, 2005).
Hinter der vordergründig skurril-witzigen Oberfläche der Arbeiten verbirgt sich ein philosophisch-gesellschaftskritischer
Ansatz. Das immer wiederkehrende Motiv der Kleidung in Objekten und Fotografien steht für die repräsentative soziale Hülle,
für die schützende zweite Haut des Menschen und thematisiert das Gefangensein des Individuums in seinem gesellschaftlichen
Kontext. Skulptur gewordene Gegenstände, wie das in Österreich allseits beliebte Essiggurkerl („Selbstportrait als Essiggurkerl“,
2010), zeigen exemplarisch banale Alltagsrealitäten auf. Der Repräsentant für den Mensch ist in Wurms Arbeiten nicht mehr
er selbst, sondern wie er lebt – versinnbildlicht durch sein Auto, seine Kleidung, seine Wohnung oder durch ein normales Essiggurkerl.
Eigens für die Ausstellung „Private Wurm“ im Essl Museum entstand die Arbeit „Narrow House“, 2010, das originalgetreu nachgebaute
Elternhaus des Künstlers – allerdings auf nur etwa einen Meter in der Breite zusammengequetscht. In diesem neuen Werk hinterfragt
Wurm auch das Bild, das wir von der Realität und der Welt haben. Er untersucht, wie sich unsere Wirklichkeit und Identität
aufgrund der Realitätsdarstellungen in den Medien verändert. Die Realität, so Wurm, werde fortlaufend dem medialen Bild der
Realität angepasst. Erwin Wurm begegnet dieser existenziellen Verunsicherung mit den Stilmitteln der Übertreibung, der Ironie
und der Komik.
Günther Oberhollenzer
1) Erwin Wurm, in: „Erwin Wurm im Gespräch mit Günther Oberhollenzer und Karin Altman“, Katalog zur Ausstellung Private Wurm,
Essl Museum, Klosterneuburg / Wien, 2010, S. 70. 2) Ebd. S. 68f.
Erwin Wurm vor seinem „Narrow House“1 / 5
Fat car convertible, 20052 / 5
Ohne Titel, Aus der Serie "59 Stellungen", 19923 / 5