WIENER MELANGE

Neueste Musik aus Wien

WIENER MELANGE

Neueste Musik aus Wien
Sa, 17.03.2012, 19:30 Uhr

Klosterneuburg

Die vier Komponisten des heutigen Abends - Alexander Stankovski, Gerald Resch, Reinhard Fuchs und Jaime Wolfson - sind allesamt Vertreter einer jüngeren Generation, die beziehungsvoll zwischen den Polen des Spontan-Unmittelbaren und des Strukturiert-Stringenten schwanken.
Die vier Komponisten des heutigen Abends - Alexander Stankovski, Gerald Resch, Reinhard Fuchs und Jaime Wolfson - sind allesamt Vertreter einer jüngeren Generation, die beziehungsvoll zwischen den Polen des Spontan-Unmittelbaren und des Strukturiert-Stringenten schwanken. Oft verhält es sich in ihrer Musik aber umgekehrt, als es scheint: Das vermeintlich Strenge beruht nicht selten auf locker Gefügtem; das Harsche, aber auch Leichte hingegen kann sich als Spielart der konsequenten Ableitung einstellen…

Mit dem Ensemble Wiener Collage ist ein Neue-Musik-Spezialensemble im SCHÖMER-HAUS zu Gast, dessen Klangideal ursprünglich von der Musik der Zweiten Wiener Schule geprägt ist und der aktuellen Musik eine reizvoll kontrastierende, kostbare Patina verleiht.

Seit Jahrhunderten ist Wien ein Schmelztiegel der Kulturen, bis zum heutigen Tage. Einflüße aus verschiedensten geographischen Richtungen und künstlerischen Strömungen wurden und werden hier gerne miteinander verbunden und oftmals kontroversiell diskutiert.
 
In Zeiten der vielbeschworenen Postmoderne scheint offensichtlich alles wieder möglich zu sein. Dass dies so nicht stimmt, führt Ihnen unser heutiges Konzert sinnfällig vor Ohren: Alle vier Komponisten haben an der Wiener Musikuniversität bei Michael Jarrell studiert und dabei höchst unterschiedliche und individuelle kompositiorische Herangehensweisen entwickelt, die einerseits von einer undogmatischen Auseinandersetzung mit der jüngeren Musikgeschichte geprägt sind, ohne dabei die Errungenschaften der Moderne über Bord zu werfen. Hier findet Reflexion auf höchstem kompositorischen Niveau statt, was sich in ganz unterschiedlichen und eigenständigen persönlichen Klangsprachen ausdrückt.
 
Wir freuen uns, heute nach längerer Zeit wieder das Ensemble Wiener Collage zu Gast im SCHÖMER-HAUS zu haben, dessen Klangideal von der Musik der Wiener Schule geprägt wurde und das in der österreichischen Musiklandschaft seit Jahrzehnten eine gewichtige Rolle spielt.
Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant der Sammlung Essl

PROGRAMM

Gerald Resch (* 1975): Zweige (2011) für Flöte, Klarinette, Violoncello und Klavier

Reinhard Fuchs (* 1974): Invers (2010) für Klarinette, Violine, Viola, Violoncello und Akkordeon

Alexander Stankovski (* 1968): Spiegel-Maske-Gesicht (1997/2011) - UA der Neufassungfür Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Schlagzeug und Klavier

Jaime Wolfson (* 19??): Recuerdan... (2011) für Sprechstimme und Ensemble Text: Julián Herbert


AUSFÜHRENDE

Ensemble Wiener Collage

Flöte: Wolfgang Zuser Klarinette: Stefan Neubauer Akkordeon: Alfred Melichar Violine: Johannes Dickbauer, Martin Zalodek Viola: Aurore Cany Violoncello: Andrea Obritzhauser, Peter Hudler Klavier: Manon Bancsich, Jaime Wolfson Schlagzeug: Berndt Thurner Dirigent: Jaime Wolfson Sprecherin: Lisi Rombach

 

WERKEINFÜHRUNGEN
Gerald Resch: Zweige

Die neun Miniaturen, aus denen „Zweige“ besteht, folgen – wie oft in meiner Musik – einem äußerst einfachen formalen Prinzip: eingerahmt von zwei Quartetten dem Auf- und Abbau der Besetzung, also: Quartett-Solo-Duo-Trio-Quartett-Trio-Duo-Solo-Quartett. Gleichzeitig sind die neun Sätze in einen Prozess des permanenten Länger- und wieder Kürzerwerdens eingespannt: Der erste Satz dauert nur 40 Sekunden, der zentrale fünfte etwa 3 Minuten, der letzte – eine genaue Spiegelung des ersten Satzes – wiederum 40 Sekunden.
Derartige strenge, eigentlich vormusikalische Entscheidungen verschaffen mir eine vielleicht paradoxe kompositorische Freiheit. Wenn die Form für sich genommen bereits eine starke Stringenz aufweist, scheint mir, dass sich sehr disparate musikalische Inhalte mitunter beinahe improvisatorisch einfüllen lassen, ohne dass das Werk als ganzes darüber zerbricht. Zweige ist in diesem Sinn der Versuch, musikalisch disparate Perspektiven (die allerdings in jedem der neun Sätze für sich genommen sehr kohärent bleiben) in ein einziges Werk zu fügen, das in seiner Vielgestaltigkeit ein authentischer Ausdruck einer mehrdeutigen Zeit sein will.
 

Reinhard Fuchs: Invers

Sowie schon in den letzten Werken interessiert mich in Invers für Klarinette, Akkordeon und Streichtrio das Minimalistische und die Verlangsamung. Ausgehend von einem einzelnen Ton entwickelt sich das Werk in „mikroskopisch“ kleinen Schritten. Nach und nach werden rhythmische und harmonische Zellen gebildet, die sich – ineinander verschränkt – in extremer Verlangsamung stufenweise vorwärts schieben und das „Innere“ der Klänge freilegen.
 

Alexander Stankovski: Spiegel – Maske – Gesicht

Vervielfachung desselben: Immanenz nicht als kompositorisches Ideal, sondern als Ausdruck der Ausweglosigkeit.
Selbstbespiegelung: Fragmente eines eigenen Stückes als Objekte erneuter kompositorischer Auseinandersetzung – als Versuch, persönliche Traditionen zu begründen, da die kollektiven ihre Verbindlichkeit verloren haben.
Musik über Musik: Fremdes als Ausgangspunkt eigener Profilierung – das vergangene Eigene als Fremdes.
Zerrspiegel des Bekannten (Debussys Masques).

Demaskierung: Gibt es überhaupt ein 'wahres' Gesicht hinter der Maske?

Nicht ein Gesicht; die Gespaltenheit ist das Gesicht.


Jaime Wolfson: Recuerdan...

Zitate alter Komponisten und deren Stimmungen regen Erinnerungen an. Wie wir erinnern, wie wir unsere Erinnerungen miteinander vermischen und oft durch Fantasien ergänzen, wie wir sie langsam verlieren, sind die Grundgedanken für dieses Stück.
Kleine Sekunden sind die Grundsteine des Tonmaterials: Chromatik stellt die Verschwommenheit, in welcher die Erinnerungen sich langsam bewegen, dar. Die Sprechstimme verursacht rasche Reaktionen der Instrumente und beeinflusst den musikalischen Fortgang. Am Ende sind nur noch Skizzen hörbar, bis die letzten Erinnerungen verlöschen.
Das Werk untersucht den unterschiedlichen östlichen bzw. westlichen Zugang zu künstlerischen Produktionen: der Westen betrachtet den künstlerischen Output als Ware, die möglichst hohe Verkaufszahlen produzieren sollte; auf der anderen Seite sieht der Osten das künstlerische Werk als einen Weg, etwas bisher Unbekanntes zu enthüllen, das es vielleicht möglich macht, die innere Bedeutung des Selbst und seines Lebens zu begreifen.

BIOGRAFIEN 
Gerald Resch

Geboren 1975 in Linz. Studierte 1993-2001 in Wien, Köln und Graz Komposition (bei Michael Jarrell, York Höller und Beat Furrer), außerdem Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte. Mehrmonatige Studienaufenthalte in Berlin (1997), Paris (1998) und Rom (2000).
Er unterrichtet an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (Formenlehre, Tonsatz und Gehörbildung) sowie an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz (Musikgeschichte und Analyse). Musikkurator des Kunstvereins Wien Alte Schmiede.
Gerald Resch erhielt Kompositionsaufträge u.a. vom Wiener Konzerthaus, Konzerthaus Berlin, Nieuw Ensemble Amsterdam, Festival Wien Modern/RSO Wien, Ensemble die reihe, Brucknerfest Linz, Gradus ad Parnassum, Klangforum Wien u.a. Er erhielt mehrere Preise und Stipendien, u.a. den Förderungspreis der Stadt Wien (2011), den Erste Bank Kompositionspreis (2011) und das Wiener Symphoniker Stipendium (2006). Derzeit arbeitet Gerald Resch an einem Stück für Posaune und Ensemble für das Ensemble Reconsil (UA in Wellington/Neuseeland) sowie einem Streichquartett für das Quartett LUX (UA in New York).
 

Reinhard Fuchs
Geboren 1974. Studierte zunächst Akkordeon am Brucknerkonservatorium Linz (1991-1995) und absolvierte anschließend seine kompositorische Ausbildung bei Michael Jarrell (1996-2002). Von 1997/98 verbrachte Fuchs ein Studienjahr an der University of Miami in Florida. Weitere wertvolle Impulse für sein Schaffen erhielt er bei Studien u.a. mit Brian Ferneyhough, Marco Stroppa, Magnus Lindberg und Klaus Huber.
1997 gründete er mit Kollegen die Komponistengruppe GEGENKLANG. Neben Kompositionsaufträgen renommierter Ensembles und Veranstalter (Salzburger Festspiele (2006), Bayerische Staatsoper (2006), Wittener Tage für neue Musik (2005), Wien Modern (2002/04), Musiktage Donaueschingen (2003), Konzerthaus Berlin (2002), Klangforum Wien (2001/03/05), Konzerthaus Wien (2001), etc.) kann Reinhard Fuchs auch auf zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen verweisen. So erhielt er zum Beispiel den 1. Preis beim 7. Mozartkompositionswettbewerb Salzburg, den 2. Preis bei ›stasis et vita, 2001 den Sonderpreis der Fondation Royaumont, 2001 den Theodor-Körner Preis der Stadt Wien, 2002 den Anton-Bruckner-Preis, 2003 das österreichische Staatsstipendium für Komposition. Im Februar 2008 fand die französische Erstaufführung von Blue Poles für großes Ensemble mit dem Ensemble Intercontemporain in Paris statt. Seit 2008 Geschäftsführer und gemeinsam mit Simeon Pironkoff künstlerischer Leiter von PHACE | CONTEMPORARY MUSIC.

2012 findet die Uraufführung der überarbeiten Fassung von ›wo Angst auf Umhülle prallt‹ für Stimme und Orchester mit der Basel Sinfonietta in der Schweiz statt. Aktuell arbeitet Fuchs an einem Auftragswerk für das Wiener Klaviertrio (UA 2013).
 

Alexander Stankovski
Geboren 1968 in München, lebt seit 1974 in Wien. Er studierte Komposition an der Wiener Musikhochschule bei Francis Burt und an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main bei Hans Zender. Daneben nahm er an mehreren Kompositions- und Analysekursen u.a. bei Karlheinz Füssl, Ulrich Siegele, Karlheinz Stockhausen, Brian Ferneyhough und Gérard Grisey teil.
Er erhielt Kompositionsaufträge von renommierten Institutionen und Ensembles (z.B. Salzburger Landestheater, Alban-Berg-Stiftung, Klangforum Wien, Ensemble die reihe, ORF, Wiener Konzerthausgesellschaft). Aufführungen bei Festivals wie Wien Modern, Hörgänge, Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik, Frankfurt Feste, Musikbiennale Berlin, Schönberg Festival Duisburg, Moskauer Herbst oder Musica Nova Sofia brachten ihm einige Beachtung.
Er erhielt mehrere Stipendien und Preise (1992 Busoni-Förderungsstipendium der Akademie der Künste, Berlin; 1993 und 97 Arbeitsstipendien der Stadt Wien; 1995 Österreichisches Staatsstipendium für Komponisten; 2000 Kompositionspreis der Erste Bank; 2001 Förderungspreis der Stadt Wien; 2004 Theodor Körner-Förderungspreis). 1999 war er zusammen mit Renald Deppe künstlerischer Leiter der 12. Langen Nacht der Neuen Klänge der IGNM im Wiener Konzerthaus.
Stankovski unterrichtete von 1996 bis 2004 als Assistent von Michael Jarrell eine Kompositionsklasse an der Musikuniversität Wien. Seit 1998 ist er als Privatdozent bzw. Senior Lecturer u.a. für Harmonielehre, Kontrapunkt und Formanalyse an der Kunstuniversität Graz tätig.

 

Jaime Wolfson
Der mexikanisch-litauische Pianist, Dirigent und Komponist erhielt seine musikalische Ausbildung an der Bruckner-Universität Linz und an der Musik Universität Wien u.a. bei Johannes Marian, Leopold Hager, Erwin Ortner und Michael Jarrell. Kurse bei György Kurtág, Christian Wolf, Georg Nussbaumer, Hans Zender u.a. Theodor Körner Preis 2010. Arbeitsstipendium des BUMKK 2011. Ehemaliger Stipendiat des Mozart Vereins Wien, Stipendiat der Czibulka-Stiftung und des FONCA-Mexiko. Leiter und Pianist des Platypus-Ensemble, mit welchem er bei den Klangspuren, bei Wien Modern und auf anderen Festivals konzertierte. Seit 2009 Mitglied des Ensemble Wiener Collage.
Darüber hinaus Konzerte in vielfältigen Formationen als Kammermusiker und Dirigent in Brasilien, Japan, Mexiko und vielen Ländern Europas. 2011 studierte Wolfson die Comic Opera “Baron Münchhausen” von Wolfang Mitterer für die Wiener Taschen Oper und Wien Modern ein.
 

Ensemble Wiener Collage

Das Ensemble Wiener Collage steht für die Aufführung zeitgenössischer Musik in all ihrer Vielfalt auf höchstem Niveau. Da das Ensemble aus Mitgliedern der Wiener Philharmoniker einerseits und exzellenten freischaffenden Musikern der Neue-Musik-Szene andererseits zusammengesetzt ist, kommt es zum permanenten Aufeinandertreffen einander ergänzender Musizier-Charaktere.
Prägend für den „Sound“ des Ensemble Wiener Collage ist die gemeinsame Basis einer typisch wienerischen Klangkultur, die bereichert wird durch mannigfaltige Erweiterungen in alle Bereiche der zeitgenössischen Moderne.
Diese Haltung zeichnet das Ensemble Wiener Collage zum hervorragenden Ensemble für die Interpretation der Musik der Zweiten Wiener Schule und ihrer Nachfolger aus, was sich unter anderem in einer jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Arnold Schönberg Center Wien dokumentiert („Ensemble in Residence“ seit 1998).
 
Vor allem aber widmet sich das Ensemble Wiener Collage der zeitgenössischen Musik: anders als die meisten Spezialistenensembles neuer Musik steht das Ensemble Wiener Collage in konstantem jahrelangen Kontakt zu den Komponisten, an deren Musik es glaubt. Auf diese Weise entstanden in den bald 25 Jahren seiner Tätigkeit an die 200 neue Werke für oft sehr ungewöhnliche Besetzungen.
 
Obwohl die undirigierte Kammermusik einen Schwerpunkt in der Arbeit des Ensemble Wiener Collage darstellt, suchen immer wieder namhafte Dirigenten die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Wiener Collage (Gastdirigate unter anderem von Pierre Boulez, Friedrich Cerha und Erich Urbanner). Außerdem bereichern Gäste wie Anja Silja, Sylvie Rohrer, Ildikó Raimondi oder Alexis Hauser die Tätigkeit des Ensembles.

1 / 1
Impressum