WIEN MODERN

Uraufführung eines Auftragswerkes der Sammlung Essl an den argentinischen Komponisten Marcelo Toledos

WIEN MODERN

Uraufführung eines Auftragswerkes der Sammlung Essl an den argentinischen Komponisten Marcelo Toledos
Sa, 27.10.2012, 19:30 Uhr

Klosterneuburg

In seinem im Auftrag der Sammlung Essl geschriebenen Werk Luminous Emptiness insenziert der argentinische Komponist Marcelo Toledo das SCHÖMER-HAUS als stellaren Klangraum, der von den Musikern des Klangforums Wiens virtuos bespielt wird.

In seinem im Auftrag der Sammlung Essl geschriebenen Werk Luminous Emptiness insenziert der argentinische Komponist Marcelo Toledo das SCHÖMER-HAUS als stellaren Klangraum, der von den Musikern des Klangforums Wiens virtuos bespielt wird. Konstellationen des Sternenhimmels dienen als Ausgangspunkt einer Komposition, in der nicht nur Instrumente, sondern auch die architektonische Elemente des SCHÖMER-HAUSES wie die käfigartige Stiege zum Klingen gebracht werden.

Auf Anregung von Claudio Abbado vergibt die Sammlung Essl alljährlich einen Kompositionsauftrag, der im Rahmen des Festivals WIEN MODERN im Klosterneuburger SCHÖMER-HAUS uraufgeführt wird. In seinem Werk Luminous Emptiness insenziert der argentinische Komponist Marcelo Toledo das SCHÖMER-HAUS als stellaren Klangraum, der von den Musikern des Klangforums Wiens virtuos bespielt wird. Konstellationen des Sternenhimmels dienen als Ausgangspunkt einer Komposition, in der nicht nur Instrumente, sondern auch die architektonische Elemente des SCHÖMER-HAUSES wie die käfigartige Stiege zum Klingen gebracht werden.
Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant der Sammlung Essl

 
PROGRAMM
Marcelo Toledo: Luminous Emptiness
for seven instruments
2011-2012
Commissioned by the Essl Collection
for the festival WIEN MODERN

 

AUSFÜHRENDE
Klangforum Wien Dirigent: Jean-Bernard Matter

 

WERKEINFÜHRUNG
Luminous Emptiness, for seven instruments, has emerged from the assumption that visual phenomena could trigger new musical universes through an open synesthesic mechanism that finds and defines itself in the compositional process.
 
Away from the metaphysical principle that speculates on the mathematical relationships between sounds and the celestial spheres, my approach concentrates in the plasticity of those visual configurations on the sky that have occupied the mind and imagination of human beings for thousands of years. As yet another version of the same experience, the material of this composition is a group of about 20 constellations from the north hemisphere. Their visual configurations suggest lines of forces of various types offering a palette of structural possibilities. Space becomes time and constellations become musical objects in permanent transformation. That transformation, however, is not expressed in the constellations themselves but rather in their positioning inside the music space, both in terms of frequencies and durations: constellations rotate and move along the pitch and time axes reproducing themselves in multiple and at times independent linear trajectories.
 
The permanent unfolding of layers of visual/aural material emphasizes the fluid nature of the experience. This approach relates to the way our perception might work under those circumstances, that is to say, a non linear and yet gradual deepening and surfacing of its morphological aspects simultaneously, at the individual level of each constellation as well as the whole. What seems to be at work is a polyphonic exchange of non hierarchical visual and aural stimuli, similar to the way we experience a starry night.
 
The limited number of constellations as musical objects was decided as a necessary constraint from which to explore several states of perception throughout the work, creating continuity and difference with the same musical materials. The large-scale form is composed of areas in which the organizational principle is that of symmetric structures placed slightly off of each other. The same principle is reflected in each section of the work with the intention of avoiding hierarchies or moments that could be more significant than others.
 
The introduction breaks the overall symmetric form with the presentation of simultaneous constellations as attacks with and without resonance followed by a section of total percussive sounds. The next seven sections are an interlock of two situations, one is static and freezes the pass of time in four moments: autumn, winter, spring and summer. The other, called fluid moments, presents three aspects: vertical fluidity, oblique fluidity, and fluid waves. The work ends with a resonance of autumn suggesting a new cycle.

Luminous Emptiness includes poems by the American poet Amy Hosig written as a parallel process to the work.
 
ESSAY
Begegnungen mit Marcelo Toledo
von Karlheinz Essl

Im September 2008 unterrichtete ich gemeinsam mit Marcelo Toledo an der Sommerakademie Instrumenta Contemporánea in Oaxaca, Mexico. Unser erstes Zusammentreffen ereignte sich anläßlich eines Dozentenkonzertes, das mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist. Auf der spärlich ausgeleuchteten Bühne erschien ein in sich gekehrter, äußerst konzentriert wirkender bärtiger Mann mit einer Bassflöte im Arm. Dieses Instrument war ganz offensichtlich nicht sein eigenes; es wirkte zunächst, als wollte er es ganz für sich alleine entdecken. Doch dann setzte er es an die Lippen und entlockte diesem metallenen Fremdkörper eine atemlose Polyphonie feinst abgestufter Geräusche in allen Schattierungen: ein ekstatisches Ritual, das einen Zeit und Raum vergessen ließ. Als wir nach dem Konzert über dieses Stück Polifonia Concreta sprachen gestand er mir, dass der für die Aufführung vorgesehene Flötist es wegen der kurzen Probenzeit nicht einstudieren konnte. So habe er selbst – ohne Flöte spielen zu können – sich in seinem Hotelzimmer mit dem Instrument vertraut gemacht hat, um am Abend sein eigenes Stück spielen zu können. Oder besser: es auf Grundlage seiner exakt ausnotierten Partitur zu improvisieren.
 
Im Frühjahr 2012 schickte mir der Komponist eine E-Mail, in der er sich an jenen Abend erinnert: "In diesem Konzert hatte ich zum zweiten Mal in meinem ganzen Leben eine Bassflöte in der Hand; das erste Mal kurz davor in meinem Hotelzimmer. Dort berührte ich das Instrument nur um herauszufinden, wie ich Klänge darauf produzieren kann. Manchmal mag ich diesen Ansatz, ohne Vorbereitung ins Ungewisse zu gehen im Sinne des zen-buddhistischen Bogenschießens, wo man das Ziel auch im Dunklen trifft."

 Dies hat mich zutiefst beeindruckt, denn Marcelos Performance war alles andere als stümperhaft oder dilletantisch. Hier hatte ich es ganz offensichtlich mit einem Komponisten zu tun, dessen komplexe Musik nicht bloß einem abstrakten Kalkül entspringt, sondern ganzheitlich und körperlich gedacht und empfunden ist, was sich einem ganz unmittelbar beim Hören erschließt.
 
Ein Jahr später trafen wir uns wieder, diesmal in Berlin. Marcelo lebte dort als DAAD-Stipendiat; ich hatte eine Soloperformance in einer Kunstgalerie, die er besuchte. Am nächsten Tag trafen wir uns zu einem Spaziergang entlang des Landwehr-Kanals, wo wir uns stundenlang über unsere kompositorische Arbeit und das Leben unterhielten. So gewann ich weitere Einblicke in seine künstlerischen Vorstellungswelten, die mich immer mehr in ihren Bann zogen. Bei einem gemeinsamen Abendessen unterbreitete ich ihm das Angebot, ein Stück für das SCHÖMER-HAUS zu schreiben und lud ihn nach Klosterneuburg ein, damit er sich dort einen Eindruck von der Architektur und der besonderen Akustik des Hauses verschaffen sollte.
 
Es war März 2010, als Marcelo mich endlich in Klosterneuburg besuchen konnte. Ich erzählte ihm die Geschichte des SCHÖMER-HAUSES, das vor 25 Jahren von Heinz Tesar als Bürogebäude und Ausstellungsraum entworfen wurde und dessen offene, dreigeschossige Eingangshalle seitdem auch regelmäßig für Konzerte genutzt wird. Was Marcelo aber weit mehr zu interessieren schien als die kathedralartige Akustik und die Möglichkeit, MusikerInnen überall im Raum auf verschiedenen Ebenen zu platzieren, war die käfigartige Stiege. Fasziniert begann er, wie auf einem Instrument darauf zu spielen. Ich besorgte ihm daraufhin verschiedene Schlägel sowie ein digitales Aufnahmegerät und ließ ihn nächtens allein, damit er sich völlig ungestört mit den Möglichkeiten des Innenraums beschäftigen konnte.
 
Am nächsten Tag überreichte er mir strahlend den Audiorecorder und berichtete von seinem Plan, dass die MusikerInnen nicht nur ihre Instrumente, sondern auch die Architektur selbst bespielen sollten. Beim Abhören seiner Aufnahmen wurde ich Zeuge eines gleichermaßen intuitiven wie systematischen Erkundungsprozesses, mit Hilfe dessen Marcelo den Raum und sein Innenleben abtastete. Die verschiedensten architektonischen Details – die metallischen Gitterstäbe oder die hölzernen Handläufe – wurden auf ihre klangliche Verwendbarkeit untersucht und als Klangdateien dokumentiert. Es war mir, als würde ich ihm bei der Entdeckung seines Materials beobachten, das er nicht nur als isolierte Klangobjekte wahrnahm, sondern sogleich gestische Gestalten daraus entwickelte: Grundbausteine seiner zukünftigen Komposition.
 
Wenige Monate später trafen wir uns in New York, um über die Details des Auftrags zu sprechen. Bei einem Frühstück in der Nähe des Central Parks erläuterte mir Marcelo die Idee, Sternenkonstellationen als strukturelle Basis für seine Komposition heranzuziehen. In einem kürzlich erhaltenen E-Mail stellte er einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen seiner Flötenimprovisation in Oaxaca und dem Auftragswerk her: "Irgendwie ist dieses neue Stück wieder eine Reise ins Ungewisse. Ganz von vorne zu beginnen, aus einer neuen Perspektive. Es benötigte lange Zeit zu verstehen, wie ich mich in dieser Dunkelheit bewegen sollte, um das Licht der Sterne mit Klängen, Rhythmen und Texturen in Verbindung zu bringen."

 Während ich diese Zeilen schreibe, ist die Partitur von Luminous Emptiness – so der endgültige Titel seines Stückes – fertig geworden, und ich warte mit Hochspannung auf unsere nunmehr fünfte Begegnung anläßlich der Premiere seines Werkes, dessen Genese ich in verschiedenen Stadien mitverfolgen durfte.
© by Karlheinz Essl, Juli 2012

 

BIOGRAFIEN
Marcelo Toledo

Marcelo Toledo has developed though the years a personal music style particularly oriented toward the exploration of instrumental timbre, an aspect of his work that has become a characteristic facet of his compositions. In his work he has eliminated the traditional importance given to pitch in order to focus on a new aural matter. This is the product of a research created through his essential engagement to explore -with his personal techniques- the instruments of the orchestra. Toledo’s music evolves almost biologically in an intricate sound texture made out of complex fluid sounds.
 
Born in Posadas, Misiones, Argentina. Co-founder of the experimental multi-media group Indiklextomink devoted to the research of different artistic codes. In Santa Fe, Argentina, guitarist and composer in the fusion band El Altillo. Studies at the National University of Litoral. A research project, “Stravinsky or the sculpture of time”. Composition lessons with composer Dante Grela.
In the USA, a Master in Composition at Syracuse University, a Doctoral degree at Columbia University with Tristan Murail, Fred Lerdahl, Jonathan Kramer. At international festivals with Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino, Luciano Berio, Julio Estrada, Jonathan Harvey among others. Unpublished book of poems.
Compositions for solo, chamber and large ensembles including the Ensemble Intercontemporain Commission 2002 Para el encuentro en los abismos, for 24 musicians. A radio opera De qué modo en lo anónimo based on a text by Juan José Saer, Commission 2002 Radio Clásica, Spain and the CDMC. The imaginary opera La selva interior (The Jungle Within) Commission 2006 Colon Theater Experimental Center, and the solo cello piece Ondulaciones del Ahora written for the Ensemble Modern's cellist Eva Böcker, South West German Radio Commission 2007.
Recent commissions and concerts include , Qualia, a solo work for viola and tape commissioned by CCEBA for the series Instrumentos Solos, co-commissioned by The Institute for the Cooperation of Art Research in New York to be premiered April 16 in Buenos Aires. The Essl Museum Commission 2011, a work for a seven instrument for Wien Modern 2012. En la más ardua oscuridad for bass clarinet, cello and piano, premiered by KNM, June 4th 2009. Berlin DAAD commission for KNM Logomaquia for trp, trb, tuba, percussion, and tape, with text by Rumanian writer/poet Nora Iuga premiered in Buenos Aires in November 2009. A bass flute work Polifonía concreta by The Institute for the Cooperation of Art Research in 2008. A portrait concert in November 2009 by the ensemble Proyecto Resplandecencias in Buenos Aires with the premiere of three new solo pieces. The Neue Vocalsolisten Commission 2009, Three works for six voices as part of the complete version of La selva interior premiered at Ultraschall Festival in Berlin January 28th 2010, SWR Vokalensemble Commission 2009, En la impenetrable maraña de lo no nombrado (In the impenetrable tangle of the unnamed) for 24 voices premiered at the Ev. Kirche Stuttgart-Gaisburg March 11th & 12th 2010. Notturno for 4 instruments, commissioned by the DAAD premiered in Venice in October 2010. Continuación de la Nada a piano quintet by the New York based Ensemble Counter)induction in 2008.
Toledo's particular interest in music notation and visual representation of sounds led to he exhibition SOUND OBJECT in New York 2004, music, scores and drawings curated by the Dean of the Columbia University School of the Arts, Bruce Ferguson.
In 2005-2006 Toledo was the New York composition mentor of the intercultural project Global Interplay organized by “Musik der Jahrhunderte” for the ISCM World Music Days. He was also organizer and curator of the New York Global Interplay Conference and Concerts, at the Goethe Institute in New York, whose participants included young composers from Europe, Africa, Asia and America. Toledo has given courses, workshops and lectures in several musical institutions: in the USA at Columbia University, Stanford University, New York University, Syracuse University, University of the Arts, Berlin, in Mexico at the UNAM, Radio Educación, and Ensenada, in Argentina at the IUNA, Centro Recoletta, UNL, UNaM, CEAMC, in Uruguay at the UNR.
Toledo is working on the book A Map of Noise, a Unique History of 20th Century Music. An abstract of it was published in Perspectiva Interdiciplinaria de Música, Mexico, 2006. His essay "Pensar la música hoy...olvidar la música" was published in "Nuevas poéticas en la música contemporánea argentina" Pablo Fessel editor, for the series Libros de música, Biblioteca Nacional, Buenos Aires, Argentina, 2007.
Toledo is a New York based freelance composer after living two years in Berlin as a DAAD Artist In Residence.
 
Klangforum Wien

24 MusikerInnen aus zehn Ländern verkörpern eine künstlerische Idee und eine persönliche Haltung, die ihrer Kunst zurückgeben, was ihr im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmählich und fast unbemerkt verloren gegangen ist: Einen Platz in ihrer eigenen Zeit, in der Gegenwart und in der Mitte der Gemeinschaft, für die sie komponiert wird und von der sie gehört werden will.
Seit seinem ersten Konzert, welches vom Ensemble noch als „Société de l’Art Acoustique" unter der musikalischen Leitung seines Gründers Beat Furrer im Palais Liechtenstein gespielt wurde, hat das Klangforum Wien unversehens ein Kapitel Musikgeschichte geschrieben: An die fünfhundert Kompositionen von KomponistInnen aus drei Kontinenten hat das Ensemble uraufgeführt und so zum ersten Mal ihre Notenschrift in Klang übersetzt. Auf eine Diskographie von mehr als 70 CDs, auf eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen und auf 2000 Auftritte in den ersten Konzert- und Opernhäusern Europas, Amerikas und Japans, bei den großen Festivals ebenso wie bei jungen engagierten Initiativen könnte das Klangforum Wien zurückblicken, wenn das Zurückblicken denn seine Sache wäre.
Über die Jahre sind tiefe Künstlerfreundschaften mit herausragenden KomponistInnen, DirigentInnen, SolistInnen, RegisseurInnen und engagierten ProgrammacherInnen gewachsen. Am Profil des Klangforum Wien haben sie ebenso Anteil, wie dieses seinerseits ihr Werk mitgetragen und -geformt hat. In den letzten Jahren haben sich einzelne Mitglieder wie auch das Ensemble als ganzes zunehmend um die Weitergabe von Ausdrucksformen und Spieltechniken an eine neue Generation von InstrumentalistInnen und KomponistInnen bemüht.

 Die Mitglieder des Klangforum Wien stammen aus Australien, Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz.
Sylvain Cambreling, Friedrich Cerha und Beat Furrer sind die drei herausragenden Musiker, denen das Klangforum Wien im Verlauf seiner 25jährigen Geschichte durch jeweils einstimmigen Beschluss aller MusikerInnen die Ehrenmitgliedschaft des Ensembles verliehen hat. Seit 1997 ist Sylvain Cambreling erster Gastdirigent des Klangforum Wien.

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