ADVENTKONZERT

Das Hugo Wolf Quartett spielt Streichquartette aus drei Jahrhunderten

ADVENTKONZERT

Das Hugo Wolf Quartett spielt Streichquartette aus drei Jahrhunderten
Sa, 08.12.2012, 19:30 Uhr

Klosterneuburg

Das Streichquartett diente seit seiner Entstehung im 18. Jahrhundert unzähligen Komponisten mit seinen vielfältigen Möglichkeiten in intimem Rahmen als Experimentierfeld, um Neues zu erproben wie auch um bestehende Konventionen aufzubrechen.

ZWISCHEN ÜBERFLUSS UND REDUKTION
Das Streichquartett diente seit seiner Entstehung im 18. Jahrhundert unzähligen Komponisten mit seinen vielfältigen Möglichkeiten in intimem Rahmen als Experimentierfeld, um Neues zu erproben wie auch um bestehende Konventionen aufzubrechen. Während zu Zeiten der Klassik vor allem formale Aspekte zu besonderer Ausprägung finden, um auch gleich wieder überschritten und in Frage gestellt zu werden, eröffnen Werke für vier Streicher im 20. und 21. Jahrhundert in der Eingrenzung des Materials neue Welten.

In Zeiten des Überflusses an Eindrücken aller Art birgt besonders das In-Frage-Stellen bestehender Systeme in ihrer Reduktion die Möglichkeit, sich auf sich auf die eigene Wahrnehmung zu besinnen und dem Alltäglichen, das sonst als so selbstverständlich hingenommen wird, Reizvolles abzugewinnen.
 
Besonders freue ich mich, mit dem erstmals im SCHÖMER-HAUS auftretenden Hugo Wolf Quartett eine Formation begrüßen zu dürfen, die sich neben der Aufführung von traditionellem Repertoire in seinem besten Sinne auch dem zeitgenössischen Musikschaffen widmet und so zu einer fruchtbaren Verbindung von alt und neu findet.

Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant der Sammlung Essl
 

PROGRAMM
Karlheinz Essl: upward, behind the onstreaming it mooned (2001) - 3. Streichquartett
Ludwig van Beethoven: Streichquartett cis-moll op. 131 (1826)
John Cage: String Quartet in Four Parts (1950)

 


AUSFÜHRENDE
Hugo Wolf Quartett

Sebastian Gürtler: 1. Violine
Régis Bringolf: 2. Violine
Gertrud Weinmeister: Viola
Florian Berner: Violoncello

 

DIE FASZINATION DES ALLTÄGLICHEN UND DAS AUSBRECHEN DARAUS
von Doris Weberberger

Kaum eine Gattung gilt wohl deutlicher als Inbegriff klassischer Musiktradition als das Streichquartett. Schließlich bietet die Verbindung von zwei Geigen, einer Bratsche und einem Cello ebenso die Möglichkeit, zu einem homogenen Klangkörper mit großem Tonumfang zu verschmelzen, wie sie auch das Hervortreten einzelner Mitlieder bis hin zum gleichberechtigten Dialogisieren aller Beteiligten erlaubt. Unweigerlich drängen sich hier der Bezug zu den Idealen der Aufklärung sowie das häufig bediente Zitat Goethes auf, man höre „vier vernünftige Leute sich unterhalten“. So selbstverständlich die Tradition des Streichquartetts jedoch aus heutiger Sicht wirken mag, diente sie den Komponisten doch ständig als Experimentierfeld, um mit den einerseits reduzierten und dabei gleichzeitig so vielfältigen Mitteln Neues zu erproben. War sie für Joseph Haydn jene Gattung, in der er sich darin übte, aus thematischen Motiven den weiteren Verlauf zu entspinnen, waren es für Mozart etwa auch harmonische Eigenheiten, die er hier zum Einsatz brachte. Nicht zuletzt war es Beethoven, der die geläufige Sonatenform aufbrach, um seine künstlerischen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen. Aber dazu später.

Widmet man sich also als Komponist diesen geschichtsträchtigen Musiziertraditionen, die gerade in Wien bereits zu Zeiten Haydns von besonderer gesellschaftlicher Relevanz zu Hofe wie auch im Bürgertum waren, kommt man nicht umhin, sich unweigerlich in Relation dazu zu begeben. Bestens bescheid darum weiß Karlheinz Essl, der 1960 in Wien geboren wurde, bei Friedrich Cerha Komposition studierte und sich 1985 und 1986 in seinen ersten beiden Streichquartetten damit auseinandergesetzt hat. Bewusst negiert er darin bereits nahezu die Unabhängigkeit der einzelnen Stimmen, um „das Auflösen des Einzelnen, Ereignishaften in einen völlig entmaterialisierten, kaum mehr instrumental zu nennenden Klang“ zu vollziehen. Als Basis fungiert der homogene Klang, bei dem das Heraustreten des Individuums den Organismus stört. In Opposition zum traditionellen Gebrauch der Streichinstrumente verhält sich Essl auch in seinem dritten und bisher letzten Werk dieser Gattung mit dem Titel upward, behind the onstreaming it mooned, in dem ebenfalls das melodische Element, das üblicherweise als Keimzelle thematisch-motivischer Arbeit fungiert, beinahe endgültig eliminiert wird.
 
Anregung dazu fand Essl bei Jorge Luis Borges, der in seiner Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis Tertius eine Sprache ohne Hauptwörter erfand – eine Reduktion, die einen ungewohnten Blick auf Alltägliches wirft, das in seiner derzeitigen Form als selbstverständlich und unhinterfragt hingenommen wird. Dass Werkzeuge wie die Sprache jedoch nicht nur ihren praktischen Sinn erfüllen, sondern auch auf diejenigen zurückwirken, die sich ihrer bedienen, brachte nicht zuletzt Wittgenstein zum Ausdruck: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Und so wird bei dem Experiment einer Sprache ohne Substantive deutlich, wie sehr man in den eigenen Systemen verhaftet ist und welcher Anstrengungen es bedarf, diese Grenzen zu durchbrechen. Denn bereits die einfachsten Aussagen werden unter diesen Umständen zu einer grammatikalischen Herausforderung, wie Borges vorführt: „Es gibt kein Wort, das dem Wort ‚Mond‘ entspricht, aber es gibt ein Verbum, das im Lateinischen ‚lunare‘ oder bei uns ‚monden‘ lauten würde. Der Mond ging über dem Fluß auf lautet: blör u fang axaxcas mlö oder in genauer Wortfolge: Empor hinter dauer-fließen mondet’es (Xul Solar übersetzt in knapper Form: upa tras perfluyue lunó. Upward, behind the onstreaming it mooned).“ Neben den Schwierigkeiten, die Ungewohntes gelegentlich mit sich bringt, übt es aber oft auch einen besonderen Reiz aus und ermöglicht das Eröffnen neuer Welten.
 
Wenn Sprache auch ohne Hauptworte funktionieren könnte, wie klingt Musik ohne Melodie? Scheinbar aus dem Nichts hebt der erste Satz mit einem einzelnen Ton an, schwillt noch, bevor er zu seiner gesamten Lautstärke finden kann, wieder ab. Dazu gesellen sich nach und nach auch die weiteren Instrumente auf demselben Ton, um im gänzlich reduzierten Material ihre nuancenreiche Fülle zu entfalten. Langsam fächern sich Akkorde in ungleichen rhythmischen Repetitionen, Tremoli und Trillern auf, bringen weitere Changierungen, bis auch Akkordzerlegungen hinzutreten und kurze, eruptive Ausbrüche Überraschungsmomente bringen. So wird gleich zu Beginn das gesamte Material vorgestellt, das in unterschiedlichen Kombinationen und diversen Variationen das weitere Stück prägt. Während der zweite Satz, einem langsamen Satz einer Sonate in dem vierteilig angelegten Werk ähnelnd, in seiner Begrenzung auf gehaltene und dabei gleichzeitig veränderliche Akkorde wie zu Beginn die Vielfalt der scheinbaren Einschränkung zu Gehör bringt, scheint in den beiden weiteren Sätzen das gesamte Material aus den feinen Schattierungen zu entstehen. Und so werden die verwendeten Elemente vielfältiger und gelegentlich auch kontrastreich aneinander gesetzt, rasche Tonverläufe – nicht jedoch zu vergleichen mit einer Melodie – werden häufiger und länger. Und doch scheint alles autopoietisch aus dem reduzierten Element eines einzelnen Tons zu erstehen.
 
Diese Form der anfänglichen Reduktion oder auch Negation findet sich zudem in anderen Zusammenhängen im Schaffen Essls. Denn anstatt sich mit bestehenden Systemen zu arrangieren, sucht er gerade das Gegenteilige hervorzukehren und für sich produktiv zu machen. Etwa wenn er, der nach dem Studium bei Dieter Kaufmann und Arbeitsaufenthalten am IRCAM selbst Komposition am Institut für Elektronische Komposition der Wiener Musikuniversität lehrt, in seinen Werken nicht nach einer einmal gefundenen und zu fixierenden Form strebt. Vielmehr ist es die Unwiederholbarkeit, die er im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit sucht und sowohl in Improvisation als auch in veränderlichen Kompositionen findet. Ebenso zeigt sich im Wissen um die Tradition ein kritischer Umgang mit ihr. Dies gilt nicht nur für die Streichquartette, sondern etwa auch für die Lexikon-Sonate, in der sich Essl dem Spiel mit tradierten musikalischen Gesten widmet, oder im Zyklus Sequitur, in dem in Weiterführung von Berios Sequenze ungewöhnliche Spielweisen einzelner Instrumente in Dialog mit sich selbst treten. Und so findet Essl in der Auseinandersetzung mit der Tradition stets zu Neuem.
 

Ludwig van Beethoven lotete bekanntlich bereits in seinen frühen Werken die Möglichkeiten der Sonatenform und ihre Grenzen aus, wie etwa bereits in den Klaviersonaten op. 2 ersichtlich wird. Vor dem Komponieren von Streichquartetten schreckte er hingegen lange Zeit zurück, hatten doch sein Lehrer Joseph Haydn und der bereits verstorbene Wolfgang A. Mozart die Gattung zu einer wahren Königsdisziplin erhoben. Ihr etwas Bedeutendes hinzuzufügen verlangte also ausgesprochenes handwerkliches Geschick, der sich Beethoven mittels Abschriften von Quartetten seiner beiden Kollegen aneignete. Erst in den Jahren 1799/80 wagte er sich im Auftrag des Fürsten Lobkowitz mit op. 18 an diese Gattung heran, wobei die Quartette trotz eigener Note deutlich von der Auseinandersetzung mit Haydn zeugen; in Kenntnis des bereits Geschaffenen war es ihm in weiterer Folge möglich, die Sonatenform in immer weitere Extreme zu führen, bis in den letzten Quartetten die Frage auskommt, inwiefern die Werke noch dem traditionellen Schema entsprechen – besonders das heute Abend zu hörende Streichquartett cis-Moll op. 131 (1826) steht in einem besonderen Spannungsverhältnis zwischen dem Erfüllen der Vorgaben und dem Aufbrechen von Grenzen.
 
Nicht nur in seiner siebensätzigen Anlage sprengt es den Rahmen des Üblichen noch weiter als die Quartette op. 132 (1825) und op. 130 (1826). Dieses Erscheinungsbild gründet wohl auch ganz praktisch auf einem besonderen Ideenreichtum, der Beethoven zu dieser Zeit ereilte. Davon zu berichten wusste Karl Holz, der als Mitglied des Schuppanzigh-Quartetts zahlreiche späte Werke des Komponisten zur Uraufführung brachte und in intensivem Austausch mit ihm stand: „‚Bester, mir ist schon wieder was eingefallen!‘ pflegte er scherzend und mit glänzenden Augen zu sagen […]: dabei schrieb er einige Noten in sein Skizzenbüchlein. ‚Das gehört aber für das zweitnächste Quartett (Cis Moll) das nächste (hiermit ist das B Quartett op. 130 mit 6 Sätzen gemeint) hat schon zu viele Sätze‘“.
 
Gerade im Umgang mit dem formalen Aufbau der einzelnen Sätze – oder „Stücke“, wie Beethoven sie wohl genannt hätte – herrscht in der Literatur Uneinigkeit: Welcher Satz entspricht welchem gängigen Schema, oder ist die Analyse nach der Form des Sonatensatzes in diesem Fall überhaupt zulässig? Die Annahme zu letzterem wird dadurch erhärtet, dass die einzelnen Teile ohne Pausen unterbrochen gespielt werden sollten; eine Antwort auf diese Frage soll hier allerdings nicht gegeben werden.
 
Konsens herrscht hingegen darüber, dass die einzelnen Sätze nicht nur in ihrer Länge, sondern auch in ihrem Ausdruck äußerst unterschiedlich und doch von thematischen Verbindungen durchzogen sind. Gerade das Bezugnehmen auf die Sonatenform und das gleichzeitige Sprengen von gängiger Form und Ausdruck lassen allgemeine Aussagen als nichtig erscheinen, wie in größeren Zusammenhang gestellt auch in den Formulierungen Theodor W. Adornos deutlich wird: „wenn man sagen kann, daß der späte Beethoven nicht durch die Objektivität eines durchgebildeten polyphonen Stils zu charakterisieren sei, so kann man ebenso auch sagen, daß er durch das Moment der Subjektivität im Sinne von Expression auch nicht zu charakterisieren ist.“
 
Ebenfalls auf den Ausdruck bezieht sich die Aussage Richard Wagners über den 1. Satz, er sei „wohl das Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist […]. Doch zugleich ist es ein Bußgebet, eine Beratung mit Gott im Glauben an das ewig Gute“. Diese eröffnende Fuge, dessen Thema Bezug auf op. 132 nimmt, wird durch das Fehlen des Kontrasubjekts sowie durch das ständige Legato schier endlos weitergeführt, bis sie in den kontrastierenden, schwungvollen 2. Satz mündet. Dass sich dieser weder ausschließlich als Sonatensatz noch als Rondo erklären lässt, legt Gerd Indorf schlüssig nahe, denn für beide Typen sprechen einzelne Argumente; als Erklärungsmuster für den gesamten Satz jedoch greifen sie nur bedingt. Dahingegen stellt er die einzelnen Sätze in unmittelbaren Zusammenhang: „Die Schwermut des ersten Adagios beeinflußt nicht nur das folgende Allegro erheblich, sondern hat Auswirkungen bis in das Finale. Dadurch entsteht eine neuartige Werkintegration, deren Intensität die aller anderen Quartette Beethovens übertrifft.“ In dem mit seinen elf Takten kürzesten 3. Satz schlägt Beethoven mittels rezitativähnlichem Dialog der vier Instrumente und einer kadenzähnlichen Passage der 1. Violine die Brücke zum folgenden Variationensatz. Die ohnehin bereits stark ausgeprägten Kontraste werden hier auch innerhalb des Satzes gebildet, wobei auch gelegentlich humorvolle Aspekte Eingang finden. Während das Thema gelegentlich deutlich zu erkennen ist, tritt es in anderen Variationen sehr zurück; über die Satzstruktur hinaus lassen sich zahlreiche Querverweise zu bereits Gehörtem wie auch zu noch folgenden Sätzen finden, darüber hinaus auch Bezugspunkte zu anderen Quartetten. Das ausgiebige Presto (5. Satz) übernimmt die Funktion eines Scherzos und mutet mit seinen immer weiterführenden Vierteln wie ein das Trio umgebendes, musikalisches Perpetuum mobile an. Wiegt man sich bereits in der äußerst vergnüglichen Stimmung, trifft die Schwermut des 6. Satzes in Erinnerung an den Beginn umso stärker. Eine dramatische Steigerung erfährt das so ungewöhnliche Quartett in seinem letzten Satz, in dem Beethoven – nachdem er die traditionelle Form zuvor bereits nachwirkend aus den Angeln gehoben hat – schlussendlich doch zu einer groß dimensionierten Sonatensatzform findet.
 

John Cage setzte sich selbst im String quartet in four parts (1950) die Aufgabe, die Stille zu preisen, ohne sie selbst zum Einsatz zu bringen. Laut indischer Philosophie, mit der er sich in den 1940er Jahren auseinander zu setzen begann, dient ein Kunstwerk dazu, „den Geist zur Ruhe zu bringen und ihn auf diese Weise den göttlichen Einflüssen zu öffnen“. Darüber hinaus bezieht sich Cage in vielfältiger Weise auf das indische Denken, ohne dabei jedoch auf musikalische Elemente des asiatischen Subkontinents zurückzugreifen. Jedem einzelnen der vier Sätze ist eine Jahreszeit sowie die mit ihr verbundene Kraft zugeordnet: Der Sommer entspricht dem Bewahrenden, der Herbst der Zerstörung, dem Winter wird die Ruhe zugeschrieben, bevor der Frühling die Erschaffung bringt. Zudem versuchte Cage sich darin, in der Vereinigung der acht Rasa, die den permanenten Gefühlen entsprechen, zur Ruhe zu finden, wie es zuvor auch ein Gedanke der Sonatas and Interludes (1946–48) gewesen war.
 
Einer besonderen Organisation unterliegen die von Cage verwendete Material: Für jeden Spieler genau festgelegte Klänge und Spielweise, von ihm als „Gamuts“ bezeichnet, bilden einen begrenzten Vorrat. Aus der beziehungslosen Aneinanderreihung dieser Elemente wendet sich Cage gegen eine zielgerichtete Entwicklung und schafft ein ziellos voranschreitendes Gebilde, in dem man sich auf die Suche nach innerer Ruhe begeben kann.
 
Anders als in den Sonatas and Interludes for prepared piano werden die Instrumente nicht mit Schrauben, Gummi und dergleichen präpariert; die einzige Veränderung der Saiten liegt in der Skordatur von zwei Cellosaiten. Die Spielanweisung, ohne Vibrato und mit möglichst wenig Bogendruck zu spielen, verleiht den Instrumenten nicht nur eine ganz spezifische, zerbrechliche Klangfarbe, sondern trägt dazu bei, den individuellen Einfluss der InterpretInnen zu reduzieren – damit fordert er von den MusikerInnen, ihren persönlichen Geschmack zurückzustellen, wie er es auch von sich als Komponist verlangt.
 
Mit dem Zyklus für präpariertes Klavier verbindet das String quartet aber auch der Rückgriff auf Zahlenverhältnisse, bei denen sich der Mikrokosmos im Makrokosmos widerspiegelt. So liegt dem Werk, wie im Vorwort der Partitur angegeben, folgende rhythmische Struktur zugrunde: 2½ · 1½, 2 · 3, 6 · 5, ½ · 1½. Diese Einheit mit der Summe 22 ist wiederum Basis für den weiteren formalen Aufbau des Quartetts, das aus 22 solcher Einheiten zusammengesetzt ist, wobei jeder Satz wiederum im Verhältnis eines Zahlenpaares steht. Was kompliziert klingt, ist es tatsächlich, und erschließt sich auch nach mehrmaligem Hören nicht. Doch ist das auch gar nicht nötig. Vielmehr stellt diese Art der Konstruktion einen Schritt des Weges dar, den Cage in Richtung der Auflösung der traditionellen Rolle des Komponisten zurücklegte und der ihn in weiterer Folge dazu bewegte, den Zufall zur kompositorischen Methode zu erheben. Davon zeugt etwa mit Four ein weiteres Streichquartett (1989), dessen Klänge der „organiser of sound“ mittels I Ging auswählte.

Die Verwendung strenger Konstruktionsmittel lässt Bezüge zur Zwölftontechnik Arnold Schönbergs (oder auch zu seriellen Vorgangsweisen) herstellen, doch widersetzte sich Cage zunehmend den Überzeugungen seines kurzzeitigen Lehrers ebenso wie den gängigen Werkkonzepten. Denn das Ausschalten des subjektiven Geschmacks ließ die Rolle des Komponisten obsolet werden und das Einbeziehen von Geräuschen und insbesondere der Stille brachten die Säulen abendländischer Musik ins Wanken. Gerade mit dem wenig später realisierten, legendären Coup 4’33” (1952) wird – in Fortsetzung des Gedankens von String quartet in four parts – die Stille zum beherrschenden Thema.
 
So offenbart sich auch in diesem Fall die Reduktion des musikalischen Materials wie auch die Befreiung von individuellen Vorlieben als Möglichkeit, neue Tore zu öffnen – und erlaubt es dem Publikum, sich auf sich selbst zu besinnen und die scheinbar statischen Tonfolgen wie auch die einen ständig umgebenden Klänge bewusst wahrzunehmen. Oder, wie Cage es in seinem folgenreichen Artikel The Future of Music – Credo ausdrückte: „Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating.“

 

© 2012 by Doris Weberberger

 

 

Hugo Wolf Quartett
Mit der Ausbildung beim Alban Berg-, Smetana-, Amadeus- und LaSalle Quartett sowie bei Ferenc Rados legte das Quartett den Grundstein für seine Karriere. 1993 in Wien gegründet, erhielt es schon bald renommierte Auszeichnungen wie den Sonderpreis der Wiener Philharmoniker und den Europäischen Kammermusikpreis. 1995 gewann es den Streichquartettwettbewerb in Cremona und debütierte im Wiener Konzerthaus. Vom Wiener Musikverein und Konzerthaus wurde es 1998 zum „Rising Star“ gewählt und ist seitdem im Concertgebouw Amsterdam, der Wigmore Hall London, in Lincoln Center und Carnegie Hall New York und in der Berliner Philharmonie ebenso zuhause wie beim Kammermusikfest Lockenhaus, dem Colmar Festival, „La folle journée de Nantes“ oder bei der Schubertiade Schwarzenberg.
Bei der Programmauswahl des Quartetts nimmt neben der klassisch-romantischen Literatur auch die zeitgenössische Musik einen wichtigen Platz ein. Zahlreiche Kompositionen wurden für das Hugo Wolf Quartett geschrieben und von ihm uraufgeführt, etwa das 4. Streichquartett von Friedrich Cerha, „Dichotomie“ von Johannes Maria Staud, Streichquartette von Erich Urbanner, Dirk D’Ase und Otto M. Zykan sowie ein Quartett und ein Oktett des Jazzgitarristen Wolfgang Muthspiel.
 
Die Aufnahmen der Beethoven-Streichquartette op. 18/4 und op. 132 (Gramola, 2001) und der Streichquartette D887 und D87 von Franz Schubert (VMS, 2009) erhielten jeweils den Pasticcio-Preis des österreichischen Rundfunks. Mit dem Jazztrompeter Kenny Wheeler und dem Pianisten John Taylor verbindet das Quartett eine enge Zusammenarbeit, die auf „Other People“ (CamJazz, 2006) dokumentiert ist. Das Label „cpo“ veröffentlichte 2007 die Erstaufnahme zweier Streichquartette von Franz Mittler, einem Wiener Multitalent der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Einspielung mit drei frühen Quartetten von Joseph Haydn (VMS, 2010) ist ein Livemitschnitt, entstanden während des Kammermusikfests Lockenhaus 2009.
 
In der Saison 2011/2012 hat das Quartett das Gesamtwerk für Streichquartett seines Namensgebers Hugo Wolf eingespielt, zudem plant es einen weiteren Livemitschnitt, diesmal mit dem Oktett von Franz Schubert. Seit drei Jahren veranstaltet das Quartett seinen eigenen Konzertzyklus im Wiener Konzerthaus und genießt dabei die Möglichkeit, dem Publikum seine ganz persönliche Vorstellung von Konzertsituation und Programmlinie zu präsentieren.
 

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