à trois - seul

for violin, viola, cello

à trois - seul

for violin, viola, cello
Mo, 13.09.2004, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Katalogpräsentation ST. STEPHAN
Orpheus Trio Wien
Gerald Resch
Über Karlheinz Essls Streichtrio à trois - seul

"Der Titel des Streichtrios à trois - seul ist programmatisch zu deuten. Seul - das bedeutet: allein, aber auch Eins-Sein. Allein-Sein als Form der Verschmelzung, vielleicht auch als Resultat eines Verschmelzungsvorgangs; à trois hingegen meint: im Diskurs zu stehen" (Karlheinz Essl).

Zwischen dem Allein-Eins-Sein und dem im Diskurs stehen schafft Karlheinz Essl eine reiche Skala an Übergängen. Die Grenze, die zwischen Identität und Differenz liegt, kann nur selten klar gezogen werden: was unter einem bestimmten Aspekt betrachtet voneinander getrennt erscheint, stellt sich unter einem anderen Blickwinkel als eng miteinander verwandt heraus. Dieses Vexierspiel zwischen Verschmelzung und Diskurs spiegelt sich in der formalen Anlage der Komposition: in der Partitur liest man fünf deutlich getrennte Sätze. Im Konzert hingegen hört man einen gleichermaßen monolithischen, wie auch vielfach gegliederten Klangstrom. Oft kann sich das Ohr nicht entscheiden, ob das, was es im Augenblick hört, etwas grundsätzlich Neues ist, oder eher eine Variante des bereits Gehörten. Wie der Bindestrich zwischen à trois und seul deutlich macht: die Gegensätze sind nicht voneinander trennbar, sondern dialektisch aufeinander bezogen.

Essl arbeitet mit den Kombinationsmöglichkeiten der drei Instrumente: Soli, Duos und Trios wechseln sich ab, doch auch hier sind die Übergänge fließend. Wenn alle drei Instrumente spielen, kann es sich um das Solo eines Instruments handeln, das von den beiden anderen lediglich unterstützt wird. Oder um eine einzige Idee, die dergestalt auf alle drei Streicher ausgebreitet wird, dass Mehrstimmigkeit entsteht. In den ersten beiden Takten spielen alle drei Streicher im selben Duktus differenzierte Triller-Figuren. Handelt es sich dabei um ein dichtes Miteinander oder schon um ein Neben-, Über- und Gegeneinander? Um beides zur gleichen Zeit: zu dritt - allein.

Die splitterartigen musikalischen Gestalten, die sich meist subkutan aus anderen Gestalten entwickeln, sind auf mehreren Ebenen parallel oder gegenstrebend verknüpft: etwa auf der Ebene der Struktur, des Materials, der Spieltechnik, der Gerichtetheit und der Intensität. Oft springt ein Element, durch das eine Gestalt geprägt wird, von einer Ebene auf eine andere: beispielsweise, wenn nach vielfältigen glissando-Bewegungen des ersten Satzes die G-Saite der Bratsche umgestimmt wird, die Spieltechnik glissando also umgedeutet wird zu einer Möglichkeit, strukturell in den Tonraum einzugreifen. Das Umstimmen der Saite stellt sich - durch den Zusammenhang der vorhergehenden glissando-Varianten - selbst als ein Struktur gewordenes Glissando dar.

Sowohl das Allein-Sein als auch das im Diskurs stehen bieten Möglichkeiten, die Freiheit zu erleben. Man hat den Eindruck, das die Gestalten in Essls Streichtrio trotz ihrer vielfältigen Beziehungen an keine vorab definierte Funktionalität gebunden sind: ein Triller etwa wird nicht als die Umspielung eines Haupttons betrachtet, sondern als Bewegungsart, die sich in Tonhöhe, Geschwindigkeit und Klangqualität verändert, wenn sie mit anderen Bewegungsarten zusammentrifft. Wie chemische Substanzen beim Zusammentreffen im Laborversuch erleben die musikalischen Partikel von à trois - seul eine Fülle von Verwandlungen mit unbekanntem Ausgang.

in: Programmheft der Salzburger Festspiele 2002 für das
Konzert des ensemble recherche (1. Aug 2002 Mozarteum)
© 2002 by Gerald Resch


Christian Baier
Dialektisches Triptychon

Zu Karlheinz Essls Streichtrio à trois - seul (1997/98)

Anlaß zur Entstehung des Streichtrios war die an mehrere Komponisten ergangene Bitte der Österreichischen Nationalbibliothek, anläßlich des 25jährigen Bestehens des "Instituts für österreichische Musikdokumentation" ein Werk zu spenden. Essl kam der Bitte nach und stellte sich vor die Aufgabe, ein Stück zu schreiben, das in sich eine Suite von mehreren Stücken ist. Die Anzahl der Instrumente und ihre Kombinationsmöglichkeiten lieferten die Initialzündung zur Strukturierung: Soli, Duos, Trios. Die gespendete Komposition bestand vorerst nur aus dem 1. Satz, beinhaltete aber bereits den dialektischen Ansatz des gesamten Streichtrios.


Ausgangspunkt - der I. Satz

Der 1. Satz setzt sich aus insgesamt 21 Stücken (drei Soli, sechs Duos und zwölf Trios) zusammen, wobei es sich bei den "Stücken" nicht um Fragmente, also um Teile eines übergeordneten Ganzen, handelt, sondern um Repräsentationsformen der Kombinationsmöglichkeiten der Instrumente. Der erste Satz ist sohin eine Summe von Stücken, die miteinander auf struktureller und semantischer Ebene sowie über den Materialbezug verknüpft sind. Die Verbindung zwischen den einzelnen Stücken erfolgt aber nicht über die künstliche Fragmentierung, also über die Aufsplitterung eines übergeordneten Ganzen in Teile, sodaß die Komposition ihre Spannkraft nicht aus der Sehnsucht nach einer Wiederherstellung des ehemaligen Ganzen bezieht, und ebensowenig den Bruch zum Prinzip der Komposition ästhetisiert und aus ihm eine Aura des vieldeutig Rezipierbaren generiert. "Der Bruch ist kein Topos, keine ästhetische 'Ideologie'", so Essl, " Er ist nur eine von mehreren strukturellen Möglichkeit."


Titel

Der Titel des Streichtrios ist programmatisch zu deuten: "Seul - das bedeutet: allein, aber auch eins-sein. Allein-Sein als Form der Verschmelzung, vielleicht auch als Resultat eines Verschmelzungsvorganges. à trois - das ist: im Diskurs stehen." Dieser Grundgedanke Essls bestimmt die innere Dramaturgie der einzelnen Sätze ebenso wie die makroformale Anlage der Komposition. Selbst die Materialbehandlung wird zum Spiegel dieses Gedankens.


Die formale Anlage

Am klarsten tritt der Gedanke "à trois - seul" in der formalen Anlage des Streichtrios zutage. Seit über 10 Jahren finden sich in den Kompositionen von Essl keine "Sätze" mehr. Im Streichtrio ergibt sich durch das zugrundeliegende dialektische Prinzip eine logische Gliederung in fünf Abschnitte, die auch klar voneinander abgesetzt sind.

Die Sätze I, III und V sind als dialektisches Triptychon zu verstehen:

Satz I repräsentiert die THESE des "seul" im Sinne von "allein", indem 21 Stücke in eine werkimmanent-logische (also nicht präformierte) Struktur gebracht werden.

Satz III stellt in ihrem polyphonen Ansatz die ANTITHESE des "à trois" dar: Drei Stimmen treten in Diskurs miteinander.

Satz V postuliert durch die schlußendlich erreichte Homophonie die SYNTHESE ("seul" als "Verschmelzung"): Es gibt eine Verbindung zwischen den drei Stimmen. "Einheit ist eine Metastruktur, die alle drei Stimme steuert, während bei der Polyphonie die Stimme ihr Eigenleben führen."

Die Sätze II und IV, die kompositorisch dichtesten Teile des Streichtrios, sind - denkt man das Bild des Triptychons weiter - als die bemalten Rückseiten der Flügelteile zu begreifen, sie sind die Kehrseite, mit ihren Dauern von 1 bzw. 1.44 Minuten die kürzesten des Streichtrios und von rein klanglichem Charakter, was sie dem Bereich des "seul" zuweist. In beiden Sätzen verwendet Essl das Flageolett, im zweiten vier Flageoletts auf jeweils einer Seite der Instrumente, im vierten Flageoletts als Doppelgriffe im Tremolo.

Satz II operiert mit Obertönen, aus denen ein chromatisches Feld geschaffen wird. Die Instrumente sollen dabei nur auf einer Saite spielen. Um diese Vorstellung zu realisieren, ist es notwendig, in die traditionelle Physis der Instrumente einzugreifen, indem die G-Saite der Viola auf As gestimmt wird. Anstatt den rein technischen Vorgang des Umstimmens aus der Komposition auszuklammern und ihn als "lästige Begleiterscheinung bei der Arbeit mit akustischen Instrumenten" in die Pause zwischen den Sätzen zu verbannen, bezieht ihn Essl in die Komposition ein, indem er ihn kurz vor Ende des 1. Satzes zum Material erklärt und in das musikalische Geschehen einbindet. (Technik und musikalischer Ausdruck verschmelzen sohin, werden "seul".)


Solo - seul

Die Gestaltung der Soli des ersten Satzes korrespondieren mit der Dialektik der formalen Anlage. Sie sind nicht im Sinne eines Bravouraktes zu verstehen, nicht als Gelegenheit für den Instrumentalisten, sein Können unter Beweis zu stellen. "Solo" ist, wie in vielen Kompositionen Essls, als gestische "Solo-Attitude" zu interpretieren. Ein Instrument tritt hervor, die anderen übernehmen für die Dauer des Solos die Funktion der "Verschleierung", sie ordnen sich der "Harmonik" des Soloinstruments unter. So entsteht innerhalb der Abfolge der 21 Teile ein künstlicher Raum, der aber nicht der artifiziellen Selbstentfaltung des "Solisten" dient, sondern ihm die Möglichkeit - im wahrsten Sinn des Wortes - einräumt, als Individuum hervorzutreten. Er ist "seul", also verschmolzen mit sich, um aus diesem Zustand wieder ins "à trois", den Diskurs, zu wechseln.


Material - Strukturtypen

Das Prinzip "à trois - seul" durchdringt auch die Arbeit mit dem musikalischen Material. Die trillerartigen Figuren des Anfangs lösen sich gegen Ende in langgezogene, flächige Klänge auf. Der Triller setzt sich in einer "Melodie" fort, doch ist "Melodie" nicht im herkömmlichen Sinn, sondern als Material zu verstehen, das sich vom Triller ableitet. Die ursprüngliche Kolorationsfigur aus der Renaissance und dem Frühbarock wird aus ihrer historischen Konnotierung und ihrer tradierten Funktionalität gelöst. Der Triller tritt in entfiguralisierter Form mit seiner an keine Funktion mehr gebundenen Gestalt, in Diskurs. Aus seinem "Wesen", der Alterierung von zwei in der Tonskala eng beieinanderliegenden Tönen, wird durch Veränderung der Geschwindigkeit, durch Vergrößerung der Hüllkurve etc. ein trägfähiges Strukturmodell gewonnen. Die polyphon geführten Linien des 3. Satzes leiten sich ebenso vom strukturell gedeuteten Triller ab wie der am Ende des 5. Satzes erreichte Einklang, der auf struktureller Ebene dem Zentralton eines Trillers entspricht.

Gleichzeitig macht Essl den Triller als ausfigurierten Klang erfaßbar und ermöglicht es den daraus resultierenden Strukturtypen, materialhafte Verbindungen einzugehen. Der Strukturtyp wird also nicht absolut gesetzt (d.h. er bleibt nicht dem Bereich des rein Figurativ-Ornamentalen verhaftet, was dem "seul" entsprechen würde), sondern er wird zum Material, das seine Entsprechungen und Gegensätze in seiner Weiterverarbeitung findet ("à trois"). "So wird es mir möglich, mich in einem mehrdimensionalen Netz zu bewegen und Verbindungen herzustellen." Die Trillerfiguren des Anfangs permutieren im Streichtrio zum Tremolo, das Essl als "Bogentriller" versteht, und zum Flageolett, das die Klanggestalt der Sätze II und IV entscheidend prägt.

Eine solche Vorgangsweise resultiert aus der Auffassung des Komponisten, der Instrumente nie traditionsgebunden und in ihren spieltechnischen Möglichkeiten auf einen bestimmten Ausdrucksfundus beschränkt sieht. Durch die Ausreizung aller spieltechnischen Möglichkeiten wird aus der Physis der Instrumente Klangmaterial gewonnen, aus dem - wie im Falle des Trillers - Strukturtypen entstehen. - Material und Struktur bedingen einander, indem sie sich auseinander entwickeln. Dem "à trois" des Titels geht also wiederum ein konzeptionelles "seul" voraus, die Einheit von Material und Struktur, die sich aus sich selbst initiiert und inszeniert.


Werk vs. Prozess

Es mag im ersten Moment verwundern, daß Karlheinz Essl nach zahlreichen elektronischen und computergesteuerten Kompositionen wieder zu einer rein akustischen Besetzung zurückkehrt. Noch mehr mag verwundern, daß er sich nach Stücken, in denen der Werkbegriff durch prozessuale Kompositionsansätze verabschiedet wurde, wieder einer klar definierten Gattung zuwendet und - dies nebenbei - wieder zu jener Gattung zurückkehrt, die seinen Werkkatalog eröffnet (Conversations - Streichtrio von 1983/84). "Meine elektronischen Kompositionen sind nie Antithesen zu den Stücken für akustische Instrumente. In meiner Arbeit laufen die beiden Stränge parallel und beeinflussen einander auf vielfältige Weise. Eigentlich beschäftige ich mich fortwährend mit Stücken mit klar faßlicher Werkcharakteristik. Daneben gibt es prozessuale Stücke, die diesen Werkcharakter in Frage stellen. Ziel dieses zweigleisigen Arbeitens ist es, die Werk und Prozeß nicht mehr als streng getrennt, sie nicht mehr als Antipoden zu sehen."
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