Morton Feldman Projekt

Klangforum Wien

Morton Feldman Projekt

Klangforum Wien
Sa, 22.01.1994, 20:00 Uhr

Das Schömer-Haus

Morton Feldman, 1926 als Sohn jüdischer Eltern in New York geboren, zählt zu den schillerndsten Komponistenpersönlichkeiten unserer Zeit. Nachdem er einige Jahre in der Dampfwäscherei seiner Eltern gearbeitete hatte, begann er schließlich bei Stefan Wolpe (einem in die USA emigrierten Webern-Schüler) Komposition zu studieren. 1950 begegnete er John Cage, der ihn nachhaltig beeinflußte.
Morton Feldman, 1926 als Sohn jüdischer Eltern in New York geboren, zählt zu den schillerndsten Komponistenpersönlichkeiten unserer Zeit. Nachdem er einige Jahre in der Dampfwäscherei seiner Eltern gearbeitete hatte, begann er schließlich bei Stefan Wolpe (einem in die USA emigrierten Webern-Schüler) Komposition zu studieren. 1950 begegnete er John Cage, der ihn nachhaltig beeinflußte. Durch ihn lernte er eine Reihe von Malern kennen (unter anderem Mark Rothko, Philip Guston, Jasper Johns und Robert Rauschenberg), die ihn ermutigten, zu einer dem traditionellen Musikdenken entgegengesetzten Poetik zu gelangen. So entstand The Rothko Chapel im Jahre 1971 als Bezugnahme auf die malerische Innenraumgestaltung eines Meditationsraumes durch Mark Rothko. Feldman berichtet darüber:


"Die 'Rothko Chapel' ist eine spirituelle Umgebung, die der amerikanische Maler Mark Rothko als einen Ort der Kontemplation geschaffen hat, wo Männer und Frauen jeden Glaubens, oder gar keines Glaubens, in Ruhe, Einsamkeit oder zeremoniell miteinander meditieren können. Für diese Kapelle, die 1971 von der Ménil Foundation in Houston (Texas) erbaut wurde, bemalte Rothko vierzehn große Leinwände. Als ich bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der "Rothko Chapel" in Houston war, baten mich meine Freunde John und Dominique de Ménil, eine Komposition als Huldigung an Rothko zu schreiben, die im folgenden Jahr aufgeführt werden sollte.

Meine Auswahl der Instrumente in Hinblick auf Besetzungsumfang, Klangbalance und Klangfarbe wurde in hohem Maß bestimmt durch den Raum der Kapelle, aber auch durch die Bilder. Rothkos Gemälde füllen die Leinwände bis ganz in die Ecken aus, und ich wünschte die gleiche Wirkung auch für die Musik - sie sollte sich über den ganzen Raum verbreiten und nicht aus Distanz gehört werden. Das Resultat gleicht sehr stark dem, das man beim Hören einer Aufnahme hat: Der Klang ist näher, rückt einem mehr auf den Leib als im Konzertsaal.

Der Gesamtrhythmus der Bilder in Rothkos Anordnung schuf einen ungebrochenen Zusammenhang. Während es bei den Gemälden möglich war, Farben und Farbgewichtungen zu wiederholen und denn dramatischen Anteil immer gleich zu halten, hatte ich das Gefühl, daß die Musik nach einer Anzahl stark gegensätzlicher, ineinander übergehender Situationen verlange. Ich stellte mir eine unbewegliche Prozession vor, nicht unähnlich den Giebelfriesen an griechischen Tempeln.

Die einzelnen Abschnitte lassen sich wie folgt charakterisieren: 1. eine ausgedehnte deklamatorische Eröffnung; 2. ein mehr stationärer 'abstrakter' Abschnitt für Chor und Glocken; 3. ein motivisches Zwischenspiel für Sopran, Viola und Pauken; 4. ein lyrischer Schlußteil für Viola mit Vibraphon-Begleitung, wozu später der Chor mit collageartiger Wirkung hinzutritt.

In The Rothko Chapel spielen einige persönliche Bezüge eine Rolle. Die Sopranmelodie zum Beispiel wurde am Tag der New Yorker Trauerfeier für Igor Strawinsky geschrieben. Die quasi-hebräische Melodie, welche die Viola am Schluß spielt, habe ich im Alter von fünfzehn Jahren komponiert. Bestimmte Intervalle, die das ganze Werk durchziehen, haben synagogalen Klang. Darüberhinaus gab es noch andere Bezüge, doch die habe ich vergessen..."


Angeregt durch seine Malerfreunde begann Feldman, die über Jahrhunderte entwickelte traditionelle Notenschrift durch eigens erfundene graphische Notationsformen zu ersetzen. Damit wollte er einerseits den Interpreten vom Zwang des Reproduzierens eines fixierten Textes befreien, andrerseits aber auch die angestrebte "Offenheit" und Mehrdeutigkeit erzielen. So sind bei dem 1964 komponierten Schlagzeugstück The King of Denmark lediglich die Anzahl der Klangereignisse pro Zeiteinheit notiert, innerhalb derer sich der Spieler frei bewegen kann. Die Schlaginstrumente werden dabei nur mit den Fingern und Händen angespielt - kaum hörbare, zarteste Klänge werden da einem Instrumentarium entlockt, das sich gerade durch seinen extremen Dynamikbereich auszeichnet. Das Werk stellt eine Huldigung an den dänischen König Christian X. dar, der während der deutschen Okkupation Dänemarks im zweiten Weltkrieg mit deutlich zur Schau gestelltem passiven Widerstand gegen das Naziregime protestierte.

Obwohl Feldman die graphische Notation später wieder fallen ließ, war dies doch ein wesentlicher Schritt zu einer "Befreiung der Klänge", wie sie ihm und John Cage vorgeschwebt hatte. Die Klänge sollten für sich stehen - wie Skulpturen im Raum - ohne auf etwas zu verweisen oder etwas anderes abzubilden als sich selbst. Denn anstatt Musik als Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Traditionen zu begreifen, versuchte Feldman mittels Strategien, die mehr der malerischen Vorstellungswelt entstammten, die Befreiung der Musik von Systemen jeder Art, seien sie kompositorischer oder historischer Natur. Anders als bei der europäischen Musik mit der ihr über Jahrhunderte vererbten Entwicklungslogik und ihren dramatischen Spannungsbögen setzte Feldman (und mit ihm eine ganze Reihe von New Yorker Komponisten, zu denen neben John Cage auch Earl Brown und Christian Wolff zählten) auf extreme Reduktion des Materials, auf das In-Bewegung-Setzen zartester Klanggebilde und auf die Erweiterung des Klanges in Zeit und Raum. Diese Verräumlichung der Musik kann als Versuch gesehen werden, gewisse malerische Vorstellungen von Zeit- und Ziel-"Losigkeit" in Klangprozesse umzusetzen.

Feldman's Beschäftigung mit anatolischen Nomaden-Teppichen (den "Yürüks") ließ ihn die organische Gestaltungskraft des Vergessens entdecken, die in seinem eigenen kompositorischen Schaffen - etwa in Why Pattern? (1978) - ihren Niederschlag fand. Im Unterschied etwa zu den Perserteppichen werden die türkischen Yürüks nämlich so gewebt, daß das fertig Gewebte unter dem Webstuhl verschwindet und das Resultat dadurch dem Auge des Teppichknüpfer verborgen bleibt. Das eben Gewirkte entzieht sich so der optischen Kontrolle, es bleibt einzig als Erinnerungsbild bestehen. Und weil sich bei diesem Erinnern Fehler einschleichen, beginnt sich in der weiteren Webarbeit das Muster allmählich zu verändern. Feldman hat diese Methode nun auf sein Komponieren übertragen. Sobald eine Seite fertig geschrieben ist, stellt er eine nicht mehr korrigierbare Reinschrift in Tinte davon her, die weggelegt und nicht eher konsultiert wird, ehe das ganze Werk abgeschlossen ist.

Anstatt sich mittels kompositorischer Systeme abzusichern, thematisierte Feldman in seinem Komponieren die unsystematische Gesetzmäßigkeit innerer Wahrnehmungsprozesse, mit denen er sich buchstäblich von Klang zu Klang weitertastete. Dieses Vertrauen auf sein inneres Ohr führte ihn schließlich zur Komposition extrem ausgedehnter Werke wie das 1983 entstandene 2. Streichquartett. In diesem mehr als fünf Stunden dauernden Opus setzt sich Feldman über alle Konventionen des Hörens sowie des Konzertbetriebes hinweg, ermöglicht uns aber das Eintauchen in völlig andere Zeitdimensionen und damit eine neue Erfahrung von Musik - als klingendes Abbild des immerwährenden Seins.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES
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