Musik - Licht - Raum

LICHT RAUM MUSIK PYRAMIDE

Musik - Licht - Raum

LICHT RAUM MUSIK PYRAMIDE
Sa, 27.02.1993, 20:00 Uhr

Das Schömer-Haus

Die heute gespielten Kompositionen von Brian Ferneyhough, Ramón González-Arroyo, Karlheinz Essl und Gerhard E. Winkler sowie die Film-Performance von Jack Hauser sind Ausdruck der Vorstellung, daß Musik und Film Zeitkünste par excellence sind, deren freigesetzte Energien als prozeßhafte Raumbewegungen in Erscheinung treten.
Das 1986 von Heinz Tesar errichtete SCHÖMER-HAUS beherbergt nicht nur die größte private Sammlung österreichischer Gegenwartskunst, sondern dient in zunehmenden Maße auch als Veranstaltungsort für außergewöhnliche künstlerische Projekte. Thema der heute in Szene gesetzten

LICHT
RAUM
MUSIK
PYRAMIDE


ist die enge Verknüpfung von akustischen und visuellen Elementen, die über das Medium des Raumes aufeinander bezogen sind.

Die heute gespielten Kompositionen von Brian Ferneyhough, Ramón González-Arroyo, Karlheinz Essl und Gerhard E. Winkler sowie die Film-Performance von Jack Hauser sind Ausdruck der Vorstellung, daß Musik und Film Zeitkünste par excellence sind, deren freigesetzte Energien als prozeßhafte Raumbewegungen in Erscheinung treten. Klang- und Lichtpartikel durchmessen die Eingangshalle des SCHÖMER-HAUSES, durchdringen und verknäueln sich, stoßen sich ab oder verschmelzen miteinander: daraus entwickeln sich immer neue Formen und Gestalten, denen zuletzt der Raum selbst seine Struktur aufprägt.

Die dreiseitige Pyramide als einfachster geometrischer Körper steht als Metapher über dieser Veranstaltung, die weder Konzert noch Filmabend sein will, sondern den Verbindungslinien zwischen den Gattungen Musik, Film, Architekt und Bildender Kunst nachspürt. Pyramidale Strukturprinzipien finden sich in der mit jeder Komposition zunehmenden Anzahl von Instrumenten, in González-Arroyos Triptico ebenso wie in der formalen Anlage von Jack Hausers dreiteiliger Film-Performance. Zuletzt aber ist es die dreigeschossige Halle des SCHÖMER-HAUSES selbst, die als Raumpyramide anstelle der sonst üblichen zweidimensionalen Konzertbühne von den verschiedensten Punkten aus zum Klingen und Leuchten gebracht wird.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES



Christian Scheib
LICHT * RAUM * MUSIK

Eine Licht - Raum - Musik - Pyramide spielt mit jenen Grenzen zwischen den Kunstgattungen, deren mannigfaltiges Überschreiten zum Charakteristikum der Kunst dieses Jahrhunderts zählt. Doch auch die Kunst-Geschichte der Lust an klingenden Bildern, architekturaler Musik, bewegtem Licht und tönenden Räumen ist vielfältig.



Musical Sculpture.
Sounds lasting and leaving from different places
and forming a sounding sculpture which lasts.


Marcel Duchamp



Die Vorstellung einer vierten Dimension, ob dabei nun eher an eine räumliche oder eine zeitliche Erweiterung des Newton-Euklidischen Weltbildes gedacht war, ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Antrieb für Infragestellungen tradierter Kunst- und Aufführungsformen. Nicht nur physikalisch fixiert geglaubte Trennungen lösen sich auf. Sinneswahrnehmung und Identitätsfrage entdecken eine immer nähere Verwandschaft, wenn nicht Zuneigung.



F A N T O M A S
S A M A N F O T
F A M O S T A N
T O M S F A A N
F A T O S N A M
F A T A M S O N
M A A S T O N F
S A N T A F O M
S T O N A F A M
F A N T O M A S

Jack Hauser


Cassandra's Dream Song (1975) von Brian Ferneyhough sucht seine Räume durch filigranes Aufspreizen eines vorerst sehr kleinen Tonraumes zu erforschen. Vorangepeitscht von lauten, heftigen Ausbrüchen verdichtet sich Kassandras alptraumhaftes Lied, wiewohl die Gestaltung der Proportionen des Zeitraumes durch variable Formteile der Interpretin vorbehalten ist. Crescendierend zu "tutta la forza" durchrast gegen Ende des Traums die Flötenstimme noch einmal den aufgespannten Tonraum, verankert im Zentralton a. Mit diesem Ton hatte Cassandra's Dream Song begonnen, mit ihm, im plötzlichen Pianissimo, endet die furiose Reise durch Kassandras Traumland.


Aus unserem Angebot an faulen Eisenwaren
empfehlen wir einen Wasserhahn,
der zu tropfen aufhört,
wenn man nicht zuhört.


Marcel Duchamp


Filmprojektion findet üblicherweise unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt; nicht der Film, aber die Projektion. Nur wenn der höllisch in Bedrängnis geratene Kinomeister in Hellza' poppin' die Rothäute in Hollywoods Produzentenvilla schickt, tritt der Projektor als Erzähler in Erscheinung. Jack Hauser projiziert. Den Lichtstreifen fabriziert er in Unterscheidung einer bildlichen und einer schriftlichen Ebene. Handarbeit im wörtlichen Sinn ist das Charakteristikum aller Arbeitsschritte der Filmherstellung Jack Hausers. In seiner Filmkunst sind Anachronismen Mittel der Aufklärung.

Nichts könnte weniger digitalisierbar sein denn Jack Hausers Filmprojektion als Filmkunstwerk. Schon das Geräusch der Vorführmaschinen verweist auf einen der zentralen Punkte. Der Film als Projiziertes gewinnte eine neue Dimension durch die Umdeutung des Hilfsmittels "Projektor" zum Gestaltungsmittel. Jedem Medium die ihm eigene Gesetze heißt konsequenterweise: jeder Maschine die ihr eigenen Möglichkeiten. Jede am Projektor vernehmbare Veränderung der Filmvorführung von der Laufgeschwindigkeit bis zum Bewegen des Geräts dient der künstlerischen Gestaltung. "Film" heißt dann nicht, Mittel zum Zwecke der Erzählung welcher Geschichte auch immer zu sein. "Film" erzählt hier mit Hilfe seiner eigenen Produktionsmittel vom Licht als Zeit des Raums.


So wie Musik nie einen Sinn mit sich herumschleppt,
so soll es bloß fürs Auge klingen
und jeder soll meinetwegen
ähnliches dabei denken oder empfinden
wie bei Musik.


Arnold Schönberg über Die Glückliche Hand



Der Titel von Ramón González-Arroyos Triptico (1991) bezieht sich auf die drei Grundelemente der Komposition: Zahl, Form und Bildhaftigkeit. Zahl als elementare Organisationseinheit der Struktur; Form als übergeordnete Wahrnehmungskategorie, die durch Überlagerung verschiedener Perspektiven ein-und-der-selben Idee entsteht; Bildhaftigkeit zuletzt in Bezug auf die Komposition von Farbgestalten.

Die Klarinette mit ihren unzählige Artikulationsweisen und dynamischen Abstufungen und ihren großartigen Klangmöglichkeiten erwies sich als der ideale Weggefährte für dieses Stück. Ihre Klangqualitäten bilden eine Bezugspunkt nicht für Imitationen, sondern für weitere Variationen und Erfindungen, aus denen elementare Grundgestalten gebaut werden, die das Klangalphabet einer heterogenen Musiksprache darstellen.

Dem Problem der Interaktion zwischen dem Tonband mit seinem unerbittlichen Zeitfluß und der flexiblen Zeitgestaltung des Musikers wurde in verschiedenster Weise begegnet, um daraus unterschiedlichste Zusammenhänge zu gewinnen: vom eng aufeinander bezogenen synchronen Aufbau einer musikalischen Geste bis hin zu voneinander quasi unabhängigen Abläufen innerhalb einer Formeinheit. Die Rollen von Tonband und Instrument ändern sich ständig: ihre Teile werden untereinander ausgetauscht, ohne dabei aber die grundsätzliche Barriere zwischen ihnen leugnen zu wollen, die den Hörer zwingt, immer andere Blickpunkte einzunehmen.


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Der Punkt könnte eine Annäherung an einen Moment räumlich-zeitlicher Leere sein oder die Konzentration beider in Einem. Der Punkt dient in Karlheinz Essls Partikel-Bewegungen (1992) als Ausgangspunkt einer Reise. Je genauer dieser Nullpunkt, dieser - um die Zeichensprache der Partitur zu zitieren - kleine schwarze Kreis auf weißem Koordinatenfeld auf die akustischen Qualitäten seiner Realisierung hin gehört wird, desto mehr verliert er alles Punktartige. Die Vorstellung eines punktuellen Ereignisses verwandelt sich in einen unabwendbar ablaufenden Prozeß.

Die Musik Karlheinz Essl läßt aus einem Netzwerk von Ereignissen als Geschichte den Prozeß mit Höhe- und Endpunkten entstehen: Das Innenleben des Punkts als in den Raum geworfener Klangprozeß, die Lupe als akustische Produktionsmaschine.

Entstanden aus einer aktions- und reaktionsgeprägten Zusammenarbeit mit dem "Sprayer von Zürich" Harald Naegeli trägt die heutige Version die ehemals tatsächliche Bewegung im Raum verdichtet zum musikalischen Ablauf der Partitur in sich, um nun wiederum in einen realen Raum entlassen zu werden. Die Musiker auf den offenen Galerien des SCHÖMER-HAUSES, die das einzelne Bild in ein sich von jedem Blickpunkt aus verschiedenen Beziehungsgefüge zum Ensemble der Bilder rücken, entwickeln eine Geflecht vom Punkt in die Fläche in den Raum.



Allem Anschein nach handelt der Künstler
wie eine Medium,
das aus dem Labyrinth
durch Zeit und Raum
seinen Weg zur Lichtung sucht.


Marcel Duchamp


Der Titel Außenhäute verweist paradoxerweise auf einen Innenraum. Eine ganze Werkreihe des Komponisten Gerhard E. Winkler erwächst aus einem als Violinsolo ausformulierten Kern, einem mikrotonal zitternden "Nucleus". Auch die Außenhäute (1989) bergen den Violinkern in sich sowohl als Fragment einer Utopie der Feinheit innerer Räume wie auch als kämpferischer Gegenpol zu den übermächtigen Kräften des Außenraums. Das instrumentale Quartett ist eine zweimal zweistimmige Auseinandersetzung zwischen Wunschbild und Bedrohung, Verfeinerung und Verhärtung, Innenleben und Außenraum.


Stan Laurel & Oliver Hardy
Humphrey Bogart & Lauren Bacall
Filopat & Patafil
Der Meister & Margarita
Abelard & Heliose
Salz & Pfeffer
Fred Astaire & Ginger Rogers
Micky & Goofy
Karl Farkas & Ernst Waldbrunn
Hinz & Kunz
Stock & Hut
Jacke wie Hose
Leib & Seele
Oswald & Kalb
Sodom & Gomorrha
Hänsel & Gretel
Amt & Würden


Jack Hauser & David Ender
aus: Hembert Nora "Berühmte Paare"


Filmprojektion wie Jack Hauser sie für diese Auführung konzipiert, macht bewegte Bilder sichtbar, verdreifacht deren Existenz und bringt sie Schritt für Schritt aus ihrem Gleichgewicht. Mit jedem Projektionsdurchgang scheint sich vormalige Identität aufzulösen. Der Verlust vorgeblicher Einheit wird zum Weg in den Raum flimmernder Möglichkeit. Das Risiko des Verlusts ist der wahre Spielgewinn: Mirjam van Doren setzt auf blaßrot.


Die Konvergenz von Musik und Malerei
vollzieht sich im Sagen selbst, nicht im Gesagten.
Die Konvergenz als abstrakte Utopie
mißglückt durch Vermischung der Medien,
anstatt des Übergangs des einen ins andere
durchs eigene Extrem hindurch.
In ihrem Gegensatz gehen die Künste ineinander über.


Theodor W. Adorno
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