In den sechziger Jahren kam es weltweit zu einem Umbruch in der Kunstlandschaft. Waren die 50er Jahre von den Ausdrucksformen
des Abstrakten Expressionismus geprägt, so zeichnete sich Anfang der 60er Jahre das Ende der Dominanz dieser künstlerischen
Avantgardebewegung ab. Mit Recht kann man behaupten, daß der Abstrakte Expressionismus sich zu einem Epochenstil entwickelt
hatte, der fast alle anderen Kunstformen verdrängte und der letzlich auch für das neuerworbene Selbstbewußtsein der Künstler
mitverantwortlich war. Doch gerade dieses Selbstbewußtsein führte letztlich zu einer Bewegung gegen die Abstraktion. Nicht
mehr der subjektive Stimmungsausdruck zählte, sondern ein neu entdeckter Bezug zur Realität der Alltagswelt.
Viele KünstlerInnen setzten verstärkt die an Konsumgütern und Werbung immer reichere Alltagswelt zitathaft in ihre Arbeiten mit ein. Kunst wurde höchst politisch und sprengte den Rahmen in alle Richtungen. So entstanden viele Werke, die die Grenzsituation zwischen "Alltagswirklichkeit" und "Kunstwirklichkeit" thematisierten. Die Kunstwerke griffen immer mehr in den Raum des Betrachters und zogen diesen selbst mit ein. Es war die Beziehung zwischen den Bereichen Kunst und Leben, die bestimmend wurde.
Auch an Hand der österreichischen Kunst der 60er Jahre läßt sich der Umbruch nachvollziehen. Waren es auch hier in den 50er
Jahren die Informellen mit Rainer, Mikl, Hollegha und Prachensky, die die Gemüter der Bevölkerung erregten, so zeichnete sich
Anfang der 60er Jahre ein Wandel ab, der sich letztlich in einer Vielfalt von Stilrichtungen äußerte. Für die Künstler der
nächsten Generation, die voller unverbrauchter Energie waren, konnte es nicht mehr befriedigend sein, im stillen Kämmerlein
des Ateliers Äußerungen ihres Selbst zu formulieren. Sie wollten das Interesse am Geschehen der Außenwelt mit der Bevölkerung
teilen.
Die Ausstellung "Umbruch" hat sich die Aufgabe gemacht, das Stimmungsbild einer Zeit wiederzugeben, die sich vom Innen zum Außen kehrte. Die nicht das Subjekt, sondern die Gesamtheit der Gesellschaft und ihrer gemeinsamen Erfahrungen in den Vordergrund stellte. Was in diesen Jahren an Kunstideen formuliert wurde, das bedeutete Auseinandersetzung mit der Realität, das bedeutete Radikalität, aber auch Schock.
Pop Art
Am deutlichsten wurde dieser Bezug zur Alltagwelt durch die Pop Art. Eine vergleichbare Bewegung hat es in Österreich zwar
nicht gegeben, doch ging der Eindruck, den Andy Warhol, Jasper John und Robert Rauschenberg erzeugten, nicht spurlos an Österreich
vorüber. Bester Beweis dafür sind die ironisch formulieren Spiegelbilder unserer Konsumgesellschaft von Christian Ludwig Attersee
und Kiki Kogelnik.
Phantasischer Realismus
Die Vertreter des Phantasische Realismus, u.a. Arik Brauer und Anton Lehmde, die in den 60er Jahren ihre größte Anerkennung
erhielten, wiesen mit ihren Werken darauf hin, daß das Bedürfnis nach dem klassischen Tafelbild durchaus vorhanden war. Ihre
Bildschöpfungen und ihr Erfolg waren der beste Beweis für die Möglichkeiten der klassischen Malerei, die auf eine lange Tradition
aufbaut, verbunden mit neuen spannenden Inhalten. Hier zeigten sich Sehnsüchte und Ängste in Bildern, die, so zum Beispiel
bei Brauer, stark an Hieronymus Bosch erinnerten.
Wiener Aktionismus
Am eindrucksvollsten wurde das Interesse an der Einbeziehung des Lebens in die Kunst durch die Bewegung des Wiener Aktionismus
sichtbar, der in seiner ganz außergewöhlichen Ausprägung weltweit keine vergleichbaren Kunstaktionen gefunden hat. Es ist
durchaus legitim, den Wiener Aktionismus als die österreichische Variante von Fluxus und Happening zu bezeichnen. Nitsch,
Brus, Schwarzkogler und Mühl aber auch Frohner waren Künstler, die bewußt schockierten und aufrüttelten. Ihre Vorstellung
von der Vereinigung von Kunst und Leben, war in Österreich wohl die politischste Kunstentwicklung des 20.Jahrhunderts. Im
Wiener Aktionismus spiegelte sich die Aufruhr und der Drang nach Grenzauflösungen und Sprengungen von Normen, der am meisten
in der Studenten- und Hippiebewegung zum Ausdruck kam.
"Wirklichkeiten"
Noch eine andere, ebenfalls gesellschaftsrelevante, aber nach ganz anderen Kriterien vorgehende Kunstströmung machte Ende
der 60er Jahre in Österreich auf sich aufmerksam, als 1968 in der Ausstellung "Wirklichkeiten" sechs KünstlerInnen gemeinsam
auftraten: Wolfgang Herzig, Martha Jungwirth, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz, Franz Ringel und Robert Zeppel-Sperl. Eine
beklemmende Mischung der Dokumentation von Unverständnis und Brutalität im Verhältnis der Menschen untereinander, aber auch
ein betonter Einsatz von Ironie und Humor kennzeichnen ihre Arbeiten.
Einzelpersonen
Neben diesen Kunstentwicklungen, die sich als Gruppenbewegungen manifestierten, traten immer wieder Einzelpersonen mit herausragenden
Schöpfungen auf. Unter ihnen sind besonders Maria Lassnig, Oswald Oberhuber und im besonderen Max Weiler hervorzuheben, die
zwar mit ihren Werken nicht unbedingt die Charakteristika der 60er Jahre verkörpern, die aber mit ihren sehr persönlichen
Stilen immer maßgeblich am Kunstgeschehen in Österreich beteiligt waren.