Marie-Jo Lafontaine

1950 geboren in Antwerpen
Lebt und arbeitet in Brüssel

Marie-Jo Lafontaine

1950 geboren in Antwerpen
Lebt und arbeitet in Brüssel

Persönliche Daten

1975-79 Ecole Nationale Supérieure d’Architecture et des Arts Visuels in Brüssel
1978 Prix Europe de la Peinture, Ostende
1986 FIACRE-Stipendium des Kulturministeriums, Paris
1987 documenta 8, Kassel
1990 Gastprofessur an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg
1992-98 Professur für Plastik und Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung (ZKM), Karlsruhe
1998 Kulturbotschafterin von Flandern
2003 Gewinnerin des Wettbewerbes „Kunst am Bau“ des Felix Nussbaum Museums in Osnabrück
2004 Gastprofessor an der UDK in Berlin
2007 Gewinnerin des Stadtprojektes “Klein Seminarie”, Roeselare, Belgium
2008 Preis "Shanghai fashion & culture Media award 2007”

Zum Werk

„Der Betrachter ist fasziniert und verführt von der Harmonie der Schönheit und der Grenze zum Umschlagen in Leiden, von der Nähe zwischen intensivstem Leben und Tod. Es gilt ihm die Augen zu öffnen und sei es durch Blenden.“1

Marie-Jo Lafontaines Werk ist von hoher Ästhetik getragen. Durch Ausschöpfen zahlreicher bildnerischer Möglichkeiten, wie etwa Skulptur, Fotografie, Malerei und Video wandeln sich ihre Arbeiten in multimediale Installationen, die durch Textzitate auch immer wieder auf literarische und philosophische Werke Bezug nehmen. Viele Inspirationen erhält sie zB. durch Dichter und Philosophen, wie Nietsche, Heidegger, Baudelaire, Rilke oder Lorca.
Motivisch setzt sich die Künstlerin mit der Widersprüchlichkeit der westlichen Kultur auseinander, die sie durch die Darstellung des Dualismus von Gewalt und Leidenschaft, Kraft und Schmerz, Schönheit und Schrecken, Jugend und Vergänglichkeit zum Ausdruck bringt.

Sowohl das Verwenden von monochromen Flächen, als auch das Spiel mit der Symbolik von Blumen stellen in Lafontaines Werk einen wichtigen und kontinuierlichen Faktor dar. Bereits 1990 entstanden eine Reihe von Fotoarbeiten mit dem Titel “Fleurs du Mal“ und 1995 eine weitere mit dem Titel „Les Roses“. Hier werden Verführung und Vergänglichkeit thematisiert, wobei durch den Titel auf Baudelaires Blumen des Bösen verwiesen und somit um eine zusätzliche Dimension erweitert wird.

Der C-Print „Pavots Rouges“ (1995-2003) zeigt in Aufsicht einen monochrom gehaltenen Ausschnitt roter Mohnblumen, die sich über die Bildgrenzen noch fortsetzen ließen. Durch die starke Vergrösserung der fotografierten Blumen und der intensiven Farbe stellt sich für den Betrachter eine flächendeckend, barocke Üppigkeit dar - Blumen werden hier zu Ikonen.

Erste Videoinstallationen machten Marie-Jo Lafontaine bereits Anfang der 1980er Jahre als Medienkünstlerin bekannt. 1987 trat sie mit einer spektakulären Arbeit auf der documenta 8 hervor: dort präsentierte sie die monumental angelegte Videoskulptur „Les Larmes d´Acier“ (Tränen aus Stahl). Seitlich von zwei Strebepfeilern zusammengehalten gemahnt die triptychonartige Konstruktion an einen Altar oder erweist expressionistischen Filmarchitekturen ihre Referenz.

Auf 27 Monitoren erscheinen athletische junge Männer beim Krafttraining ihres Körpers. Langsam gleitet die Kamera über die Gesichter, die den Willensakt der Bezwingung zeigen. Die Kamera verfolgt die Kontraktionen der nackten Muskeln und die Bewegungen der stählernen Maschinen. Musikalisch wird das „mechanische Ballett“ der männlichen Körper von der Arie >Casta Diva< aus Bellinis Oper >Norma<, gesungen von Maria Callas, begleitet. Durch die innere Dramatik dieser auf Höhepunkte aufgebauten Musik erhält die martialische Routine der Bewegungen ein spannungsvolles, kontrapostisches Echo. Wenn die Stimme der Callas schließlich die höchsten Stimmlagen in der dramatischen Arie erklimmt und der Bodybuilder genau in diesem Moment als Kompensation seiner Anstrengung auf die Lippe beißt, fallen Agonie und Ekstase zusammen, wechselt der „Schmerz“ der Anstrengung in die „Lust“ an der Anstrengung, verwandelt sich Leiden in Leidenschaft. Was die körperliche Leistung in ihrer Disziplin und Fähigkeit der Unterdrückung von Schmerz auszeichnet, befähigt sie zugleich zu ihrer männlichen Dominanz. Unter dem Einfluss der emotionalen Ausdrucksstärke des Gesangs potenziert sich die Kraft des Körpers zu einem Symbol der unmittelbaren Macht. „Mann, Maschine, Macht und Sexualität mutieren unter dem Diktat der Schönheit zu einem totalitären Entwurf."2

Die Arbeit „Demain Appartient aux Fous d'Aujourd'hui“, von 1996/97 ist Teil einer Serie, in der die Künstlerin Kinder unterschiedlicher Herkunft abbildet. Die nackten Oberkörper der Buben und Mädchen werden in Schwarzweißfotografie vor schwarzem Hintergrund und mit gleich bleibendem Bildausschnitt und Lichtführung frontal gezeigt. Die schlichte Präsenz der Kinder lässt ihr Wesen spürbar werden. Unter den Fotos sind unterschiedlich bemalte, mit Bronzelettern beschriftete Holztafeln montiert. Farben und Textzeilen laden die Bilder inhaltlich auf.
Die Schlichtheit der Motive verleiht den Körpern Feierlichkeit und Würde. Die Portraits spiegeln Aspekte der menschlichen Existenz und verbinden sich mit Malerei, Text und monumentalen Rahmungen zu ausdrucksstarken Ensembles mit oft philosophischer Aussage. Viele Inszenierungen von Marie-Jo Lafontaine haben neben der dokumentarischen vor allem eine entrückende Wirkung und erinnern an Denk- und Mahnmale.

Mela Maresch und Andreas Hoffer
1) Georg Bussmann, „Prinzip Verführung“, in: Passio, AK Städtisches Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 1990, o. S.
2) Ursula Frohne, in: Heinrich Klotz, Kunst der Gegenwart, Museum für Neue Kunst - ZKM Karlsruhe; München / New York: Prestel, 1997, S. 173.
Marie-Jo Lafontaine1 / 4
Demain Appartient aux Fous d'Aujourd'hui2 / 4
Pavots Rouges3 / 4
Les Larmes d’acier4 / 4
Impressum