Hermann Nitsch

1938 geboren in Wien
2022 gestorben in Mistelbach, Niederösterreich

Hermann Nitsch

1938 geboren in Wien
2022 gestorben in Mistelbach, Niederösterreich

Persönliche Daten

1952-56 Ausbildung an der graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien
1971-73 Gastdozent an der Hochschule für bildende Kunst in Frankfurt
1972 documenta 5, Kassel
1982 documenta 7, Kassel
1985 Zweisemestrige Gastprofessur an der Kunstakademie Hamburg
1989-95 Professur an der Hochschule für bildende Kunst (Städelschule) in Frankfurt am Main
Lehrtätigkeit: internationale Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg; Schule für künstlerische Fotografie in Wien
1995 Ausstattung und Regiebeteiligung an der Oper „Herodiade" von Jules Massenet an der Wiener Staatsoper
2001 Gesamtausstattung der Oper „Satyagraha“ vo Philip Glass am Festspielhaus St. Pölten
2004 Gastprofessur an der Universität Wien, Institut für Theaterwissenschaften
2005 Großer Österreichischer Staatspreis für Bildende Kunst
Goldene Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien
2007 Eröffnung des Hermann Nitsch Museum im Museumszentrum Mistelbach in Niederösterreich
2008 Eröffnung des Museo Nitsch in Neapel

Zum Werk

„Nitschs wiederkehrende Motive – Opfer und Kreuzigung, Meditation und Extase, die Lust am Fleisch und die Erlösung durch die Schönheit sind die klassischen Motive der Kunstgeschichte. Nur zeigt er lebende Bilder.“ 1

„Der Künstler in der Imitatio Christi, das ist und bleibt ein Ärgernis.“ 2

Seit den späten 1950er Jahren beschäftigt sich Hermann Nitsch angeregt vom Tachismus und dem abstrakten Expressionismus mit der Malerei. Er begann in dieser Zeit auf individuelle Weise damit, Farbe, sowie auch Blut, auf die Leinwand zu schütten. Ab 1960 veranstaltet er auch erste „theatralische Malaktionen", zum Teil gemeinsam mit Otto Mühl und Adolf Frohner, die in der Öffentlichkeit höchst umstritten diskutiert wurden, einige Prozesse und Gefängnisstrafen nach sich zogen. Hermann Nitsch gilt gemeinsam mit Günter Brus, Otto Mühl und Rudolf Schwarzkogler als der wichtigste Initiator des Wiener Aktionismus in den 60er Jahren. „Der Wiener Aktionismus hielt den Leuten den Spiegel vor, zeigte ihnen, wie sie wirklich waren. Das konfrontierte die Menschen mit ihrer eigentlichen Natur und das war sehr schwer zu ertragen.“ 3 Es ist eine Kunst, welche die Gesellschaft nicht in ihren Werten und in ihrer Selbstgefälligkeit bestärkt, sondern aufrüttelt, befremdet, provoziert oder auch neugierig macht, und sei es durch Irritation.

Seit 1957 verfolgt er die Idee seines Orgien-Mysterien-Theaters (OMT): ein bis zu sechs Tage dauerndes Fest, an dem sich nach einer genau festgelegten Dramaturgie viele Akteure und Zuschauer beteiligen und Substanzen wie Fleisch, Blut und rote Farbe über Körper und meterlange Leinwandbahnen gegossen und geschüttet werden. Geburt, Leben, Sterben und Wiedergeburt kommen in dem exzessiven und berauschenden Prozess zum Ausdruck. Dieses Projekt, das von der Vorstellung eines Gesamtkunstwerkes unter Einbeziehung von Malerei, Architektur und Musik ausgeht und auf der Grundlage griechischer Mysterienfeste, eine Kartharsis (Reinigung) zum Ziel hat ist Ausgangspunkt von Nitschs Lebenswerk. Im Laufe des Spiels werden alle fünf Sinne des Menschen zugleich aufs Äußerste bis zu einem herbeigeführten Höhepunkt beansprucht, worauf dann, im Idealfall, ein Erkennen des eigenen Selbst erfolgen soll.
Aufgehängte, geschlachtete Tiere, deren Blut und Innereien, sowie auf Bahren gelegte oder auf ein Kreuz gebundene, mit Blut verschmierte, nackte oder weiß gekleidete Teilnehmer verwandeln das Geschehen zu einem real erlebten Mysterienspiel, das an die Kreuzigung und das Leichentuch Jesu Christi erinnert.

Die meisten Orgien-Mysterien-Theater Veranstaltungen finden in Schloss Prinzendorf in Niederösterreich statt, welches Hermann Nitsch 1971 erworben hatte. Seit diesem Zeitpunkt werden die Aktionen mit Musik untermalt. Lärmorchester, Schreichöre, traditionelle Blasmusik und elektronisch verstärkte Instrumente werden eingesetzt. Die Attribute seiner orgiastischen Aktionen, wie Chorhemden und Kreuzbahren, sind nicht nur Teil eines aktionistischen Gesamtkunstwerks, sondern in ihrer Relikt-(Reliquien)haftigkeit selbst bereits Kunstwerke.

1996 wurde Hermann Nitsch von Karlheinz Essl eingeladen, eine Malaktion im Schömer-Haus, der Zentrale des bauMax, zu realisieren. Die große, dreistöckige Eingangshalle mit seinem markanten Stiegenhaus wurde von Nitsch in einen sakralen Raum verwandelt. Alle freien Wand- und Bodenflächen bis zum ersten Stock und das in der Mitte befindliche Stiegenhaus wurden mit riesigen Leinwandflächen (bis zu 7m hoch) versehen, worauf in einem ersten Durchgang frisches Tierblut geschüttet und gespritzt wurde. Anschließend erfolgte der zweite Malvorgang mit diverser, roter Farbe, entweder dick in weinblutrot oder mit Wasser verdünnt floß diese großflächig und in dramatischer Weise die Leinwände herab. Besonders intensiviert wurde die Malaktion durch die eigens komponierte Musik für sieben Bläser und Orgel, die den sinnlich ausgelegten, performativen Malvorgang steigerte und umgekehrt.

Zu den ursprünglichen Farben in Nitsch’s Werk zählen an erster Stelle das Rot und dann das Schwarz. Bereits seit ende der 1960er Jahre beschäftigt er sich mit dem Phänomen Farbe, 1969 entwickelt er zum ersten Mal eine Farbenlehre des Orgien Mysterien Theaters. Er legt Farbskalen an und untersucht die Wechselwirkung der Farben zueinander, denen er auch bestimmte Klänge seiner Kompositionen zuordnet. Auch in den Schüttbildern lässt sich eine verstärkte Zuwendung zur Farbe ab etwa 1989 (28. Malaktion) und wiederum ab dem Jahr 2001 beobachten. Seine Bilder werden nun von neuen Farben bestimmt, wie einem Grün, Blau, Violett oder hellem Gelb. Für Nitsch ist hierbei vor allem der Symbolgehalt der Farben wichtig. Das Violett zum Beispiel ist die Farbe der Religion und des Leidens (der Passion).
Das vorwiegend in Gelb gehaltene „Schüttbild mit Malhemd, aus dem Auferstehungszyklus II“ (2002) zeugt von einem metaphysischen Rausch, der sich vor allem in der Materialbehandlung sehr sinnlich zeigt. Über ein blutiges, nach unten rinnendes Rot ist das Gelb des Lichts, der Auferstehung gelegt. Im weiß übermalten Hemd findet sich die Spur des Erleuchteten.

Nitsch ist im Sinne eines Universalkünstlers nicht nur als performativer Maler tätig, sondern auch als Komponist und Verfasser zahlreicher Bücher. In mehreren Bänden werden „Die Partituren aller aufgeführten Aktionen“ des OMT verlegt. Im dreibändigen Werk „Das Sein“ legt er ausführlich seine philosophischen Theorien zum OMT dar.
In zahlreichen internationalen Ausstellungen und mehrmaligen Teilnahmen auf der documenta in Kassel (1972, 1982) wurde und wird sein Werk auch heute noch gebührend gewürdigt. Große Anerkennung erfährt der teilweise immer noch umstrittene Aktionskünstler Hermann Nitsch nicht zuletzt durch seine beiden Museumseröffnungen in Mistelbach und Neapel.

Elisabeth Pokorny-Waitzer
1) Elke Schmitter, „Die schöne Barbarei. Wie Hermann Nitsch in Prinzendorf den Schöpfungsmythos nachspielte“, in: Frankfurter allgemeine Zeitung. Feuilleton vom 17. August 1998, S. 34.
2) Wieland Schmied, „Zu den Ausstellungen von Hermann Nitsch“, in: Hermann Nitsch. AK Neue Galerie der Stadt Linz, 1997, S. 49.
3) Zitat Hermann Nitsch, in: NITSCH – Eine Retrospektive, AK Sammlung Essl, Klosterneuburg, 2003, S. 23.
Hermann Nitsch im Essl Museum1 / 8
Kreuzwegstation2 / 8
O.M. Theater3 / 8
O.M. Theater4 / 8
6-Tage-Spiel, 5. Tag, Prinzendorf5 / 8
38. Malaktion, Schömer-Haus6 / 8
Schüttbild mit Malhemd, aus dem Auferstehungszyklus II7 / 8
Kreuzwegstation, violett/blau8 / 8
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