Walter Pichler

1936 geboren in Deutschnofen, Südtirol
2012 gestorben in Wien

Walter Pichler

1936 geboren in Deutschnofen, Südtirol
2012 gestorben in Wien

Persönliche Daten

1955 Diplom an der Bundesgewerbeschule, Innsbruck
1955-59 Graphikstudium an der an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien
1959 Parisaufenthalt
1963/64 lebt in New York, bereist Mexiko
1965-67 Redaktion der Architekturzeitschrift „Bau. Schrift für Architektur und Städtebau“
1968 documenta IV, Kassel
1982 Österreichischer Beitrag auf der Biennale Venedig
1984 Arnold-Bode-Preis in Kassel
1985 Großer Österreichischer Staatspreis für Bildende Kunst

Zum Werk

„Wenn man so wie ich sein Leben fast immer zeichnend begleitet, verselbständigt sich die Zeichnung, wird einmal Notation von Zuständen und dann wieder genaue Analyse, trägt zur Verwirrung und dann wieder zur Klärung bei.
Ich könnte kaum denken, ohne zu zeichnen.“1


Der österreichische Bildhauer, Zeichner und Architekt Walter Pichler ist Schöpfer von archaisch anmutenden Skulpturen, die wie kultische Objekte behandelt werden. Für diese Skulpturen entwirft er zusätzlich eigens konzipierte Behausungen mit perfekten Proportionen und Lichteinfall, um eine untrennbare Einheit von Skulptur und umgebender Architektur zu erreichen. Wie bei einem Tempel oder Reliquienschrein, bewahren und beschützen diese Räume im Inneren die kostbaren, hieratischen Plastiken.

Seit den 1960er Jahren zählt Walter Pichler zu den wichtigsten Vertretern der Architektur-Avantgarde. Anfangs beschäftigt er sich mit architektonischen Entwürfen für utopische Stadtmodelle und plastische Objekte, die sich mit dem Raum und dessen individueller Wahrnehmung auseinandersetzen. Diese „Visionary Architecture“, gemeinsam mit Hans Hollein und Raimund Abraham entwickelt, wird 1967 in der legendär gewordenen Ausstellung im Museum of Modern Art in New York gezeigt. Pichler entwickelt innovative Objekte, die sogenannten Prototypen, die sich im Grenzbereich zwischen Skulptur, Architektur und Design bewegen. Inspiriert durch die Auto- und Raumfahrtindustrie erschafft er mit ganz neuen Materialien wie Kunststoffen und Aluminium seine visionären Projekte. Furore machte vor allem sein berühmter „TV-Helm (tragbares Wohnzimmer)“ von 1967, wo sich der Künstler mit dem Thema Isolationszelle auseinandersetzt und sich kritisch mit den damals neuen Medien wie Fernsehen und Telekommunikation beschäftigt.

1972 kauft er ein Anwesen in St. Martin im Burgenland, um in der ländlichen Abgeschiedenheit konzentriert arbeiten zu können. Die künstlerische Idee hinter dieser Ansiedlung war, für die Aufstellung seiner plastischen Werke und ihren dazugehörigen Häusern ein eigenes Territorium zu schaffen. Die dort gewonnenen Erfahrungen mit traditionellem Bauen, mit ungebräuchlich gewordenen Materialien und Verfahrensweisen flossen stets in seine Arbeiten ein. In jahrzehntelanger künstlerischer Arbeit entstand dort sein äußerst konsequentes Gesamtkunstwerk an Arbeits- und Ausstellungsstätten.

Ausgangspunkt von Pichlers künstlerischem Schaffen ist immer die Zeichnung. Sie ist geprägt von einfachen, elementaren Formen und geometrischen Figuren, die zuweilen auch an technische Zeichnungen erinnern. Der Mensch wird oft nur in der Funktion als Modell im Zusammenspiel von Skulptur und Architektur integriert. In der Gouache „Betrachtung verschiedener Winkel“ (1990) werden drei skizzierte Figuren in Seitenansicht gezeigt, die vor einer fast dreimal so hohen, stelenartigen Skulptur stehen, welche in ihrer Höhe und Schlankheit an Pichlers Plastik „Die große Frau“ (realisiert 1990) erinnert. Die verschiedenen Betrachterstandpunkte der beiden Männer werden durch die ockerfarbenen Kantenlinien besonders hervorgehoben.
Oder aber die menschliche Figur wird einsam in leeren Raumsituationen festgehalten, wie in der Papierarbeit „Kauernder mit Stock“ (1991). Eine hagere, nackte Gestalt, schemenhaft umrissen, liegt zusammengekrümmt am Boden und leidet. Sie wirkt gefangen im streng konstruierten Koordinatensystem des Raumes und der starren Linien des Holzbodens und des Stockes.

Die Sammlung Essl besitzt eine Reihe von Zeichnungen und architektonischen Entwürfen Walter Pichlers, vor allem der 1980er und 90er Jahre. Darunter befinden sich 5 detaillierte Entwurfszeichnungen in Tusche und Tempera für „das Türmchen“, welches ab den 1990er Jahren in St. Martin an der Raab realisiert wurde. Ergänzend zu seiner bis dato männlich dominierten Arbeit, sollte das Türmchen von Frauenskulpturen bewohnt sein. Es befindet sich am wichtigen Eckpunkt seiner Gebäudeanlage zwischen dem „Haus für den Rumpf und die Schädeldecken“ und dem „Haus für das Kreuz“, welches geradlinig zum Türmchen ausgerichtet steht. „Bei einer solchen Verzahnung ist es für mich nicht mehr ganz klar, wo >Architektur< aufhört und >Skulptur< anfängt oder umgekehrt. Nicht zuletzt deswegen ist „das Türmchen“ obwohl ein sehr wichtiger Bestandteil in St. Martin, eine eigene, in sich geschlossene Welt.“2

Zu seinem architektonischen Werk „Haus für den Grat und die Schlucht“ bewahrt die Sammlung Essl ebenfalls ein 13-teiliges Konvolut mit Tuscheentwürfen und Zeichnungen aus den Jahren 1994 bis 1999, sowie zwei Gebäudemodelle (1986 und 1996) aus Holz, Gips und Lehm. Das sehr schmale und längliche Haus als Zubau in St. Martin wird von einem Satteldach überhöht und wurde als Schutzraum für seine Skulptur der „Grat“ von 1972 gebaut.

Pichler hat seine skulpturalen und architektonischen Arbeiten über jahrelange Zeiträume zeichnerisch und mittels plastischer Entwürfe vorbereitet. Detailgetreue Pläne, Skizzen, Schnitte und Axonometrien ziehen sich durch das gesamte Werk. Die eher seltenen Ausstellungen wurden vom Künstler einem ureigenen Prinzip folgend stets selbst gestaltet und aufgebaut.

Elisabeth Pokorny-Waitzer und Annette Stein
1) Walter Pichler, in: Walter Pichler. Es ist doch der Kopf, AK CFA Berlin und Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck; Salzburg: Jung und Jung Verlag, 2007, S.5.
2) Zitat Walter Pichler, in: Walter Pichler. Das Türmchen, AK Galerie Krinzinger, Innsbruck, 1988, S. 5.
Walter Pichler1 / 6
Oberkörper2 / 6
Betrachtung verschiedener Winkel3 / 6
Kauernder mit Stock4 / 6
Türmchen (Längsschnitt)5 / 6
Türmchen (Vorderansicht)6 / 6
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