CITTÀ UTOPICA

Uraufführung eines Kompositionsauftrages der Sammlung Essl an den Hamburger Komponisten Burkhard Friedrich

CITTÀ UTOPICA

Uraufführung eines Kompositionsauftrages der Sammlung Essl an den Hamburger Komponisten Burkhard Friedrich
So, 14.11.2010, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Die funktionalen Beleuchtungswege der ÖMV-Raffinerie in Wien-Schwechat eröffnen dem Betrachter nachts aus der Vogelperspektive einen nahezu unendlichen künstlerisch anmutenden kreierten Lichtpark. Übertragen auf ein visuelles Abbild vermag die Wirklichkeit dieser Lichtanlagen von der Fiktion, zu dem sie durch das Medium Video gemacht wird, nicht mehr unterschieden werden.
Eine Kooperation des Essl Museums mit dem Festival WIEN MODERN

Die funktionalen Beleuchtungswege der ÖMV-Raffinerie in Wien-Schwechat eröffnen dem Betrachter nachts aus der Vogelperspektive einen nahezu unendlichen künstlerisch anmutenden kreierten Lichtpark, der als Miniatur-Kulisse und Requisite eines utopischen Filmes dienen könnte. Übertragen auf ein visuelles Abbild vermag die Wirklichkeit dieser Lichtanlagen von der Fiktion, zu dem sie durch das Medium Video gemacht wird, nicht mehr unterschieden werden.

Die einzigartige Anordnung der Beleuchtungskörper der Raffinerie nimmt in der Architektur moderner Industrieanlagen einen bisher unerkannten Platz ein. Das außergewöhnlich komplexe nächtliche Neon-Lichtszenario des Raffinerie-Geländes dient Burkhard Friedrich als Quelle geschichteter, transparenter und, ineinanderfließender elektronischer, wie verstärkter akkustischer Klänge. Die künstlerische Arbeit Kurt Hörbsts beginnt bei dem Filmen der –funktionalen-Lichtstrukturen sowohl aus der Ferne als auch aus der unmittelbaren Nähe. Dabei nimmt Hörbsts Perspektive zuweilen die Position einer überdimensionalen Überwachungskamera aus dem All ein, die, der Internet-Suchmaschine „Google Earth“ nicht unähnlich, utopisch scheinende Anordnungen von Leuchtkörpern inszeniert.

Diese visuellen Inszenierungen finden auf der musikalischen Ebene ihre transformative Entsprechung, bzw. Spiegelung. Die Projektionen des Videos schaffen für den Betrachter eine vertikal-horizontale Bewegungsstruktur, die sich in der Musik, die einerseits mit horizontalen Linien, andererseits mit den tiefendimensionalen Perspektiven des Geländes arbeitet, wiederfindet. Der Betrachter erhält im Innern einen Blick auf das Abbild des Äußeren und kann sich der sogartigen Wirkung der Musik, sowie dem Bild, dessen Bestandteil er automatisch durch seine Position ist, nicht entziehen.

CITTÀ UTOPICA bietet dem Zuschauer für 55 Minuten einen Aufenthalt in einer Parallelwelt, wie wir sie von ihrer Form her nur von Jahrmärkten her kennen, deren Ursprung in realen Situationen, wie eben der Raffinerie liegen und aus dem eigenartige Spannungen und Beziehungen zwischen Wirklichkeit, Abbild und Modell entstehen. Dieses Spannungsgefüge greift Burkhard Friedrich auf der musikalischen Ebene zunächst mit rein elektronischen Mitteln auf, die in das Live-Spiel so eingewoben sind und teils versetzt, teils simultan, teils weit auseinander in den Raum gespielt (“projieziert”) werden, so daß das Live-Spiel von dem produzierten Spiel nicht mehr unterschieden werden kann; die Musik wird zum Abbild ihrerselbst, so, wie die Inhalte der Projektionen ebenfalls Modelle ihrer Wirklichkeit sind. Die Komponenten Projektion, Produktion und Live-Geschehen kreieren eine utopische Welt.


AUSFÜHRENDE

ensemble Intégrales
Sascha Demand: E-Gitarre
John Eckhardt: Kontrabass
Burkhard Friedrich: Live-Elektronik
Jürgen Hall: Sound Design

Kurt Hörbst: Visuals


Karlheinz Essl
ANMERKUNGEN ZU BURKHARD FRIEDRICHS CITTÀ UTOPICA

Es war noch nie so leicht und gleichzeitig so schwer, Komponist zu sein, wie heutzutage. In früheren Zeiten war seine Rolle klar definiert als Erfinder von Musik, die in präzis niedergeschriebenen Partituren kodifiziert wurde. Zu ihrer klanglichen Umsetzung bedurfte es seit jeher einer vermittelnden Instanz – in der Regel Musiker und Instrumente – die den abstrakten Notentext vermittels musikalischer Interpretation erklingen ließen.

Mit der Verbreitung elektronischer Medien hat sich der Schaffensprozess von Musik jedoch grundlegend geändert. Durch die neuen Möglichkeiten der unmittelbaren Gestaltung und Speicherung des Klanges stellt die Partitur nicht mehr das alleinige Medium dar, das die Komposition repräsentiert. Vordergründig betrachtet erleichtern die elektronischen Produktionsmittel die Arbeit, was es auch nicht traditionell ausgebildeten Musikbegeisterten erlaubt, ihre eigene Klanggebilde zu basteln.

Die einfache Verfügbarkeit der digitalen Produktionsmittel ist zugleich aber auch ihre Crux, da jene zumeist von den Vorstellungen eines massentauglichen „Industriestandards“ geprägt sind und nichts anderes tun, als angestaubte Denk- und Produktionsmodelle mithilfe moderner Technologien zu simulieren, ohne dabei grundsätzlich nach neuen künstlerischen Ansätzen zu suchen.

Die Synthese beider Welten – einer konzeptionellen und am Partiturschreiben geschulten und einer intuitiven, die quasi interaktiv am Klang selbst arbeitet – stellt hingegen einen vielversprechenden Modus dar, der die Stärken beider Welten vereint.

In diesem Spannungsgefüge lebt und arbeitet der Hamburger Musiker Burkhard Friedrich. Er, der viele Jahre als Komponist alten Schlages und Schüler von Helmut Lachenmann komplexe Partituren verfertigte, wurde durch seine Erfahrung als Saxophonist und Improvisator zunehmend verunsichert, was das Schreiben von Noten anlangt. Wer jemals selbst erfahren hat, wie sich Musik in einem improvisatorischen Kontext zum Zeitpunkt ihres Erklingens wie von selbst zusammenfügt und in jedem Moment absolut stimmig ist, fragt sich zu Recht, ob diese Magie des Augenblicks auch mit kompositorischer Gestaltung „out of time“ (Xenakis) bewerkstelligt werden kann.

Burkhard Friedrich ist diesen Fragen nicht ausgewichen. Viele Jahre hat er Jugendlichen Kompositionsunterricht erteilt und Schulprojekte mit KomponistInnen durchführt. Er weiß um die Schwierigkeiten, musikalische Fantasien adäquat auszuarbeiten und in eine kommunizierbare Form zu bringen. Dabei lässt er jedes Mittel zu und zeigt eine ästhetische Offenheit, die an so manchem Tabu der Neuen Musik rüttelt. Berührungsängste kennt er keine, wenn er mit seinem Ensemble Intégrales völlig unbekannte asiatische KomponistInnen auf CD herausbringt oder mit MusikerInnen aus der freien Improvisationsszene arbeitet. Immer wieder fasziniert ihn der Einsatz der Elektronik, und so ist er in den letzten Jahren immer tiefer in diese Arbeitsweise eingedrungen und dabei vermehrt den Schreibstift durch die Computermaus ausgetauscht.

Die Arbeit im elektronischen Milieu läßt nicht selten ein Bedürfnis nach Erweiterung des Mediums entstehen, und so erweckte Friedrichs Begegnung mit dem Fotokünstler Kurt Hörbst den Wunsch nach Zusammenarbeit. Als ich Burkhard vor zwei Jahren fragte, ob er nicht ein Stück für das SCHÖMER-HAUS schreiben möchte war von Anfang an klar, dass es sich dabei nicht um eine konventionelle Partitur handeln wird, sondern um eine Art multimediale Konzert-Installation, in der Videoprojektionen, elektronische Sounds und Live-Musiker gleichberechtigt zu einem übergeordneten Ganzen verwoben sind.

Inspiriert wurde dieses Werk, das den Titel CITTÀ UTOPICA trägt (und damit einen direkten Bezug zum UTOPIEN-Schwerpunkt meiner Konzertreihe im Essl Museum darstellt) von visuellen Vorstellungen: Die nächtliche Abflüge vom Flughafen Wien-Schwechat führten Burkhard Friedrich immer wieder direkt über die taghell erleuchtete Raffinerie der ÖMV, die ein bizarres Schauspiel einer autonom funktionierenden Maschinenstadt bietet. Dies führte schließlich zur Komposition eines knapp einstündigen Soundtracks, der wiederum Kurt Hörbst als Inspirationsquelle diente, als er nächtens die Raffinerie mit Fotoapparat und Videokamera im Bild festhielt. Später wurden die Instrumentalparts der beiden Live-Musiker – des E-Gitarrististen Sascha Demand und des Kontrabassisten John Eckhardt – wie zusätzliche Tracks in einer ProTools-Session eingearbeitet. Diese sind jedoch so gestaltet, dass die Musiker nicht solistisch hervortreten, sondern gänzlich mit dem bereits vorproduzierten Soundtrack verschmelzen. In einem letzten Arbeitsgang werden zuletzt die Video- und Fotomaterialien von Kurt Hörbst passgenau in den Zeitablauf einmontiert, in völliger Umkehrung des üblichen Vorganges, dass nämlich die Musik zu einem fertigen Film nach dessen Zeitstruktur dazukomponiert wird.

Am Tag seiner Uraufführung am 14.11.2010 wird das multimediale Endkonstrukt als Klang und Bild in den architektonischen Raum des Klosterneuburger SCHÖMER-HAUSES projiziert, wo es mit dessen baulichen und akustischen Gegebenheiten interagiert. Daraus entsteht – nicht zuletzt auch durch die individuelle Wahrnehmungsleistung des Publikums – in jedem von uns eine individuelle Version einer geträumten utopischen Stadt, jene CITTÀ UTOPICA, die Burkhard Friedrich uns als Spiegelbild vor Augen und Ohren halten möchte.


BIOGRAPHIEN

Burkhard Friedrich
1962 in Berlin geboren, studierte Komposition, Musikerziehung und klassisches Saxophon in Berlin, Lübeck und Stuttgart. Er war Stipendiat der Heinrich-Strobel- des Südwestrundfunks, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Stadt Hamburg und ist für sein kompositorisches Schaffen mehrfach ausgezeichnet worden.

Seine Kammeroper Lancelots Spiegel erhielt 2001 den 1. Preis im Opernkompositionswettbewerb der Kunstuniversität Graz (Österreich) und wurde 2003 in Graz uraufgeführt. Seine zweite Kammeroper Imitation of Life nach Motiven des Regisseurs David Lynch und des amerikanischen Autors Bret Easton Ellis hatte 2005 an der Staatsoper Hamburg Premiere. Sein Musiktheater Galaxy Hotel wurde im Oktober auf Kampnagel/Hamburg uraufgeführt und im Rahmen des “Ultraschall”-Festivals im Januar 2010 in Berlin.

Burkhard Friedrich veranstaltet in Hamburg in Kooperation mit der Staatsoper Hamburg und dem Golden Pudel Club Hamburg Konzertreihen mit improvisierter und notierter Musik, in denen er regelmäßig als Interpret und Komponist auftritt und internationale Musiker und Komponisten eingeladen werden. Im Januar 2010 ist seine dritte Portrait-CD “The musicbox-project completed” bei dem Internetlabel “plakatif” erschienen. Gemeinsam mit dem Videokünstler Timo Schierhorn entwickelt Burkhard Friedrich eine multimediale Installation -“no significant change”- nach Motiven von Haruki Murakami, die Ende November 2010 in der Staatsoper Hamburg/opera stabile Premiere hat.


Kurt Hörbst
Geboren 1972 in Apfoltern, Mühlviertel. Nach der Ausbildung an der Fernmeldeschule in Graz absolviert er von 1992-95 die Prager Fotoschule. Seit 1996 unterrichtet er dort Geschichte der Fotografie sowie Journalistik. Er ist für den Aufbau dieser Schule in Österreich mitverantwortlich. 2003-2005 Leitung der Galerie „Raum für Fotografie“ auf Schloss Weinberg. 1998-2001 Lehrauftrag für Fotografie an der Fachhochschule in Hagenberg. 2002-2004 Lehrauftrag für Fotografie an der Kunstuniversität Linz. Seit 2005 Lehrauftrag für Fotografie an der Fachhochschule St. Pölten.

Zahlreiche Ausstellungen und Projekte im In- und Ausland. Für seine Arbeit wurde Kurt Hörbst 1998 mit der Talentförderungsprämie für künstlerische Fotografie des Landes OÖ ausgezeichnet. 1999 Auszeichnung „Schönste Bücher Österreichs“ für „Überlebt“. In den letzten Jahren verstärkte Engagements inn intermediären Projekten. Videoinstallationen und Medienperformances im In- und Ausland.


Jürgen Hall
Geboren 1969, studierte Physik und Musikwissenschaft in Hamburg und ist seit 1993 als Komponist und Musikproduzent tätig in den Bereichen elektronische Popmusik, Improvisation und Theatermusik. Zu seinen aktiven Projekten zählen unter anderem das Soloprojekt Gunter Adler und die Formation Augsburger Tafelconfect. Als Solo-Performer unternimmt er Konzertreisen durch Frankreich, Schweiz, Italien, Benelux, Polen etc. 2003 gründete er das Internet-Label Plakatif für experimentelle Musik. Er ist außerdem Gelegenheits-DJ, kreiert Klang- und Geräusch-Installationen und führt seit 2005 Stummfilmvertonungen auf. Als Dozent und Musiker leitet er verschiedene Workshops für audiovisuelle Komposition (z.B. ZKM Karlsruhe). Seit 1999 hat er u.a. auf den folgenden Labels ca. 20 Tonträger als CD oder Schallplatte veröffentlicht: Staubgold, edition Stora, mik.musik, Gagarinrecords.


John Eckhardt
Der Hamburger Bassist John Eckhardt ist Kammer- und Improvisationsmusiker. Seine Arbeit als Solist wie im Ensemble hat ihn auf zahlreiche internationale Festivals geführt - u.a. mit Ensemble Modern, Klangforum Wien, musikFabrik NRW, Evan Parker, Malcolm Goldstein und Elliott Sharp. 2008 erschien seine Solo-CD „Xylobiont“ bei PSI Records und hat internationales Aufsehen erregt. Zur Zeit arbeitet er intensiv an seinem Dancefloorprojekt Funksteppa, das auf seinem live E-Bass-Spiel aufbaut.


Sascha Demand
Geboren 1971. Komponist und Gitarrist, Interpret zeitgenössischer Musik und Improvisationsmusiker. Mitbegründer der Band „beside the cage“ und Mitglied des „ensemble integrales“. Dozent für Gitarre und Komposition an der Musikschule der Stadt Pinneberg. Beiratsmitglied des KLANG! Projektes in Hamburg. Mitbegründer der Konzertreihe „gegen den Strom“ für improvisierte Musik in Hamburg.
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