ATOM ART

Solo-Recital Eva Reiter

ATOM ART

Solo-Recital Eva Reiter
Mi, 23.05.2007, 19:30 Uhr

Essl Museum

Der Blick aus dem Zugfenster: Raum und Zeit fliegen vorbei, manches erkennt das Auge ganz scharf, anderes verschwimmt im Hintergrund, wieder anderes hakt sich im Blick des Betrachters für Sekundenbruchteile ein – weite Ferne so nah, nahe Ferne so weit.
Eva Reiter: Viola da Gamba, Paetzold-Blockflöte
Christina Bauer: Tontechnik

PROGRAMM

Fausto Romitelli: Seascape (1994) für Paetzold-Kontrabassblockflöte

Eva Reiter: Turgor (2005) für Viola da Gamba und Tape

Eva Reiter: Roland (2006) Soloversion für Paetzold-Kontrabassblockflöte und Tape

Eva Reiter: Nasszelle (2006) für Paetzold-Kontrabassblockflöte und Tape

Emanuele Casale: Studio 2a (2000) für Kontrabassblockflöte und Tape

Eva Reiter: Dr. Best (2007) für Viola da Gamba und Tape

Jorge Sánchez-Chiong: Stolen Mercury (2006) für Kontrabassblockflöte, Viola da Gamba und Turntables



ZU DIESEM KONZERT

Die interdependente Verbindung von Komposition und Interpretation ist ein signifikantes Merkmal meines Solo-Programms, das hier vorgestellt werden soll. Darunter fällt zum einen der bisher zweiteilige Zyklus ATOM ART (mit den Stücken turgor und Nasszelle), pvc_extended und roland, in dem die Komponistin zugleich Interpretin ihrer Stücke ist, zum anderen Solostücke einiger Komponisten, deren Arbeit in Gedankenwelt und Klangästhetik sich als «artverwandt» und inspirierend erweisen.

Der enge Zusammenhang von «Nähe» und «Ferne» stellt sich in meiner Arbeit nicht zuerst als geschichtliches, sondern vor allem als strukturelles Phänomen dar. Hierfür erscheinen die Gleichzeitigkeiten unterschiedlicher Hörperspektiven als besonders charakteristisch. Die ganz unterschiedlichen, sowohl räumlichen wie zeitlichen Distanzverhältnisse sind in das kompositorische Material selbst hineingetrieben. Mikroskopische und in die Ferne versetzte Betrachtungen einzelner Klangpartikel oder ganzer Klanggewebe sowie Schichtungen unterschiedlicher Entfernungen sind für die Stücke bestimmend, kennzeichnen aber auch die Aufführungssituation selbst (Verhältnis von Live-Performance und Tape, spezifische Mikrofonierung usw.). Wie bei einem Fernrohr läßt sich das weit Entfernte gleichsam heranzoomen und so aus der Nähe betrachten.

Ein anderes Bild, das sich bisweilen einstellt: Der Blick aus dem Zugfenster läßt Schärfe-Unschärfeverhältnisse sowie divergierende Zeitschichten offenbar werden - so zeigen sich auch die Klangereignisse häufig in den angedeuteten, sehr unterschiedlichen Distanzverhältnissen von «nah» und «fern» oder «gleichzeitig» und «sukzessiv». In der kompositorischen Arbeit werden die natürlichen Distanzverhältnisse räumlicher und zeitlicher Koordinaten auseinanderdividiert und anschließend wieder neu, in ein unnatürliches Wahrnehmungsverhältnis übereinandergesetzt. Die unterschiedlichen Distanzverhältnisse werden aber auch in der sehr verschiedenen Nähe- und Fernerelation zwischen Live-Part und Tape ausgelotet. Zwischen gegenseitigem, kaum merklichem Einfärben und Modulieren identer Klanggestalten - gleich einem symbiotischen Zustand - bis hin zur völligen kontrapunktischen Entfernung kontrastierender Gegenpole ist die formale Gestaltung der Stücke eingespannt.

Kennzeichnend für meine Kompositionen erscheint die Auslotung des schmalen Grads zwischen akustischer und elektronischer Musik. Die Klanggestaltungen der Zuspielungen bestehen zum einen aus Samples, die dem Instrument selbst entnommen sind (gleichsam Nahaufnahmen des Instrumentinnenraums), zum anderen aus Maschinen und Motorensounds, deren asymmetrische Loop-Eigenschaft charakteristisch ist und die Auswirkungen auf die Gesamtstruktur der Stücke haben. Die vormals kühle, gleichsam rohe Klangästhetik dieser Maschinenloops rückt im kompositorischen Prozeß wie auch in der jeweiligen Aufführungssituation durch das Hinzukommen des Live-Parts in den Hintergrund und wird in eine kontrapunktische Konstruktion von Tape und Live-Sound überführt. (Eva Reiter)


Eva Reiter (* 1976 in Wien)

Studium der Blockflöte und Viola da Gamba an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Diplom mit Auszeichnung. Fortsetzung beider Studien am Sweelinck-Conservatorium in Amsterdam/Niederlande mit Schwerpunkt im Bereich der zeitgenössischen Komposition. Masterdiplome mit Auszeichnung. Mit Ensemble Mikado Preisträgerin des IYAP-Wettbewerbs in Antwerpen. Derzeit rege Konzerttätigkeit als Solistin wie auch u.a. mit Ensemble Mikado, De Nederlandse Bachvereeniging, Trio Elastic3, Duo Breitband.

Seit 1996 intensive Auseinandersetzung im Bereich der zeitgenössischen Musik als Interpretin und Komponistin. Sie brachte ihre Kompositionen bei internationalen Festivals wie Transit/Leuven, ISCM World New Music Festival 2006/Stuttgart, generator und Wien Modern/Wiener Konzerthaus zur Aufführung. Weitere Auftritte bei Musikprotokoll/Graz, Tage Alter Musik Berlin, Regensburger Tage Alter Musik. Als Komponistin mit dem «Publicity Preis» der SKE sowie anderen Förderungen ausgezeichnet.



WERKKOMMENTARE


Fausto Romitelli: Seascape

«Im Zentrum meines Komponierens steht die Idee, einen Klang wie eine Materie zu empfinden, in die man hineintaucht, um deren physische und perzeptive Merkmale wie Gefüge, Stärke, Porosität, Helligkeit, Dichte und Elastizität zu schmieden …»

Diese sonore Klanglichkeit, in die der Hörer von Beginn an «hineingesogen» wird, begegnet in Seascape in Form einer rauschhaft ungreifbaren, von wabernden Soundschwaden bestimmten Unterwasserwelt. Kaum ein anderes Stück lotet die klanglichen und spieltechnischen Extreme dieser so eigenartig speziellen Paetzold-Blockflöte derart versiert aus wie Seascape. Romitelli geht auch hier von präexistentem Tonmaterial aus, formiert rauschhafte Obertonklangwolken und -skalen über immer wiederkehrenden Basstönen, doch rückt er zusätzlich bewusst in die vermeintlichen «Abfallprodukte» der Soundproduktion ein luftiges Rauschen und Pfeifen, ein Rattern und Klappern an allen Ecken und Enden der sich ständig verändernden Klangwellen. Der kontinuierliche Wechsel von «ein- und ausgeatmeten» Klängen, von An- und Entspannung verstärkt den Wellencharakter des Stückes. Das Material ist Verdichtungs- und Beschleunigungsprozessen ausgesetzt, es kommt an zwei markanten Stellen zu eruptiven Ausbrüchen, bis am Ende von Seascape ein den Beginn des Stückes widerspiegelnder – und doch gleichsam «umgekehrter» – Zustand erreicht ist. Durch die (elektronische) Verstärkung des Instruments erreicht der Klang den Hörer noch unmittelbarer.


Eva Reiter: Turgor

Der Titel des Stückes, Turgor, verweist auf die basale kompositorische Idee: Klangzellen bewegen sich in be- und entschleunigtem Zustand wie Teilchen in sehr unterschiedlichen Aggregatzuständen und wechselnden Räumen, so dass eine Assoziation zu biochemischen Prozessen wie Diffusion und Osmose naheliegt. Osmose nämlich bezeichnet das Hindurchtreten (Diffusion) von Flüssigkeitsmolekülen durch eine semipermeable Membran mit der Tendenz, die Konzentrationsunterschiede gelöster Teilchen auf beiden Seiten auszugleichen. Den dadurch bedingten Druckunterschied bezeichnet man als osmotischen Druck (lateinisch: turgor). Ähnlich wie beim Temperaturausgleich wird bei der Osmose keine Energie frei gesetzt oder benötigt, gleichwohl steigt die Entropie.

Ohne dass in Turgor nun versucht wird, dieses physikalische Phänomen auf das Klanggewebe zu übertragen, so besteht doch mehr als ein rein assoziativer Zusammenhang. Turgor selbst ist eine Art Mikroorganismus, dessen Räume wie interzelluläre Gebilde angelegt sind – ein Blick auf das Material zeigt, wie deutlich hier musikalische Details mikroskopisch «bearbeitet» werden. Detailvergrößerungen der mikroskopischen Zellen führen zu signifikanten Ausfransungen der Klänge, die durch spezielle Spieltechniken, Präparierungen am Instrument und eine spezifische Mikrofonierung erreicht werden. Die Vorstellung von parallelen Tonspuren, die wie mit Reglern am Mischpult gesteuert werden, entspricht dabei einem mehrspurigen Spielen auf dem Instrument, wobei es insbesondere kurz vor den ausgeprägten „Membrandurchbrüchen» zu einer extremen Verdichtung des Materials (wie auch des Klangs) kommt. Material und Form entsprechen sich in wesentlichen Grundzügen insofern, als auch der formale Gedanke aus dem mikroskopischen Fokus entspringt: Die aus dem Material gewonnenen Parameter – wie Verdichtung, Be- und Entschleunigung, «Zelldurchbrüche» und ähnliches – wurden dabei in die formale Disposition des Stückes überführt. Musikalische Bewegung und somit formale Gestaltung entstehen jenseits der nuancierten Veränderung der Loops vor allem aus der Prämisse, dass allein ein ins Wanken geratener „idealer Zustand» Entwicklung erst ermöglicht. Wenn das Klanggewebe gestört ist (heisst: gestört wird), formt sich Verdichtung im Sinne eines sich steigernden Druckes aus, womit es zu einer zunehmenden Bewegung der «diffundierenden» Klangteilchen kommt, kurz bevor der Hörer wie durch eine Zellwand in einen benachbarten Klangraum, der zuvor bereits als «Schattenklang» erkennbar war, «gespült» wird – diese Wahrnehmung entsteht dreimal an signifikanten Stellen von Turgor, ehe das abschließende, lang ausgearbeitete Loop den «inneren Raum» verlässt und in eine erkennbar «warme», lichtere und scheinbar freiere Atmosphäre gleitet.


Eva Reiter: Roland

Das Stück wurde ursprünglich für das Duo Breitband für Kontrabassblockflöte, Copycat und Mischpult komponiert. Mit Roland wurde der Versuch unternommen, das Duo als kompakte, symbiotische Einheit in Erscheinung treten zu lassen. Spezifische Klangcharakteristika der einzelnen Instrumente sollten verdeckt und neue Legierungen elektronischer und natürlicher Klänge geschaffen werden. Dieses zugrunde liegende, interdependente Verhältnis der instrumentalen Charaktere ist Ausgangspunkt und zugleich die Basis des Stückes, die im Verlaufe der Komposition mehrfach gelockert wird. Durch klangliche Modulationen, welche die Fusion der Klänge auflösen und instrumentale Eigenheiten hervortreten lassen, geraten sie in ein Distanz- und zugleich in ein Spannungsverhältnis, bleiben aber unauflöslich «kontrapunktisch» miteinander verbunden.

Der Kompositionsplan ist streng, die Musik klar modelliert, unnahbar, scheinbar kühl. Sie ist geprägt von elektronischem Rauschen, metallischen Sounds, Netzteilbrummen als Material der elektronischen Parts. Hinzu tritt der Gebrauch von alten Tonbandmaschinen und analogem elektronischen Equipment, das ausschlaggebend ist für die spezielle Klangästhetik des Duos. Der Klang der Elektromotoren und schleifenden Tonbändern weist in seinem Verlauf charakteristische Loopeigenschaften auf und läßt immer wieder eine Form von durchgängigem "beat" aufscheinen. Sowohl in der mikro- sowie in der makroskopischen Betrachtung des Stückes bilden diminuierte und augmentierte Loopstrukturen nicht nur materiale, sondern auch formale Grundlagen. Doch noch bevor man sich einhören und verlieren könnte in einem Anklang an popmusikalische Phänomene, bilden Störgeräusche immer wieder Unterbrechungen und verhindern die womöglich weitergehörte, vielleicht erhoffte Ordnung.

Die Kontrabassblockflöte nimmt Bezug auf die Strenge der elektronischen Sounds und das kalkulierte Schichten und Verdichten paralleler Tonspuren des Mischpults. Die Klänge werden subtil manipuliert und gefärbt. Das Material der Flöte ist äußerst präzise, geprägt von Detailvergrößerungen der Sounds. Zugrunde liegt das (Er-)Finden einer Spieltechnik, die es ermöglicht, musikalische Details mikroskopisch zu bearbeiten. Das Bedienen der Mischpultregler entspricht hier einem mehrspurigen Spielen auf dem Instrument.


Eva Reiter: Nasszelle

Vergleichbar dem Zerfall der kristallinen Anordnung von Wassermolekülen im Vorgang des Schmelzens von Eis, werden in Nasszelle für Paetzold-Kontrabaßblockflöte und Tape unterschiedliche Zellenzusammenhänge ausgelotet und hörbar gemacht. Klangzellen bewegen sich in unterschiedlichen Aggregatzuständen und wechselnden Umgebungen, ganz ähnlich physikalischen Prozessen der Phasenumwandlung.

Das Schmelzen eines zu Beginn kristallinen Stoffes bedingt die sukzessive Zersetzung musikalischer Ordnung. Klangmoleküle treten in Bewegung, verflüssigen sich und beschleunigen. Das musikalische Material ist gleichsam unterschiedlichen Temperatureinflüssen ausgesetzt und tritt somit in je unterschied-licher Färbung in Erscheinung. Beim Erreichen der Erstarrungstemperatur am Ende des Stückes kommt es an mehreren Stellen innerhalb des musikalischen Gefüges neuerlich zur Kristallbildung.

In Nasszelle für Paetzold-Kontrabassblockflöte und Tape richtet sich der Fokus auf klangliche Details, die durch eine ausgearbeitete Mikrofonierung quasi mikroskopisch vergrößert und durch spezielle Spieltechniken erreicht werden. Die klanglichen Besonderheiten dieser aussergewöhnlich konstruierten Kontrabassblockflöte sollen bis in die hintersten Ecken «ausgehört» werden. Das Tape hat dabei die Funktion eines Duo-Partners, manchmal erscheint es wie die Negativ-Folie des live gespielten Parts, dann wieder füllt das Live-Instrument die im Tape eingearbeiteten weissen Flächen sukzessiv aus, und schließlich führen Live-Part und Tape eine integrale Koexistenz.

In der Live-Performance dringt das Instrument förmlich in das anorganische Klanggewebe ein, modelliert und manipuliert es, setzt das vorgegebene Material in Bewegung, färbt es spezifisch ein und setzt damit den Prozess der Umwandlung in organisches Gewebe in Gang.


Emanuele Casale: Studio 2a

Schon der Titel verweist auf den fragmentarischen Charakter des Stückes: Studio 2a, eine Skizze, ein schneller Entwurf, roh und ungeschliffen. Auch durch seine Kürze gleicht Studio 2a einer extrem komprimierten Zeitstrecke. Schnell und virtuos rauschen die Klänge aus allen Richtungen und erscheinen wie in eine zu enge Form gepresst. Der Flötenpart weist selten zusammenhängende Linien auf: Ineinander verzahnte, skizzenhafte Melodiefragmente und permanent unterbrochene Linien steigern sich vereinzelt zu eruptiven Ausbrüchen. Das Tape ist wie ein Spiegel, wirft das Klangbild zurück – verzerrt, irritiert auch. Vielleicht auch wie das leicht verrutschte Abbild des realen Klanges. Auf diese Art und Weise hat das Stück etwas sehr Humorvolles. Studio 2a ist auch ein Spiel zwischen Live-Part und Tape: ein Hin und Her der Klänge, ein Zupassen. Erst im Ganzen werden Zusammenhänge sichtbar, lassen sich Verbindungen entdecken, als würde an anderer Stelle die Linie fortgeführt, die eben noch im Nichts endete.


Eva Reiter: Dr. Best

Der Beginn klingt wie ein Flirren oder Flimmern der Herzkammern; die sich im Verlaufe des Stückes immer wieder einstellenden harten, kantigen Einschnitte wie der plötzliche Stillstand. Die ächzenden Maschinen schreiten schwer und allmählich nur voran, markige Ausbrüche deuten ein bedrohlich Dahinterliegendes an. Am Ende, wenn das Material wild losgelassen wird und sich frei flottierend Bahn bricht, weiß der Hörer, was er zuvor nur geahnt hat: Der sanfte Dur-Ruhepol in der Mitte von «Dr. Best» war «nur» schöner Schein. Aber was heißt schon «nur»?

Heidelberger Druckmaschinen aus den 50er Jahren bestimmen den grundlegenden rhythmischen Verlauf des Stückes für Viola da Gamba und Tape. An dem Klang der schleifenden, zischenden Maschinen orientiert sich das musikalische Material der Gambe – wie im Schattenriss liegt es manchmal davor oder dahinter. Komplementäre Klangpartikel, die wie Basenpaare zu dem konkreten Material funktionieren, stellen das tragende Grundgerüst dar. Teilen sich die Stränge, finden beide Klangverläufe ihre neuen komplementären «Klangpartner». Ein komplexer Klangverlauf ähnlich einer Loopkette, die alle tragenden Informationen des gesamten Stückes enthält, bildet somit die Ausgangssituation von «Dr. Best». Diese Grundstruktur wird allerdings in seiner ursprünglichen Form nie hörbar gemacht, dient aber als roter Materialfaden, als Codierung des musikalischen Materials, als «Erbinformation» des Stückes. Hörbar werden allein Ausschnitte des Stranges, Teilentwicklungen, Facetten.

Der ideelle Kontakt zum wissenschaftlichen Kontext der medizinischen DNA-Forschung ist damit angedeutet und verbirgt sich mit Blick auf die «molekulare Matrize», die als Vorlage für die Vervielfältigung und Weitergabe der genetischen Information dienen könnte, hinter dem Stück. Jeder Strang der DNA ist bekanntlich komplementär zum anderen. Somit kann ein Strang als Matrize dienen, und ein neuer Strang kann aufgrund der Regeln für die «Basenpaarung» synthetisiert werden. Ganz ähnlich funktioniert die materiale Struktur von «Dr. Best», nicht zuletzt auch im Verhältnis von Interpret und Tape.

Der Interpret muss nach einem strengen, zeitlich engen Korsett meist äußerst präzise Bewegungsabläufe ausführen, um das gewünschte Klangresultat der idealen Verschränkung von Live-Klang und Tape zu erzielen. Dabei bleibt ihm keine Zeit für ausschweifende Bewegungen oder improvisatorische Scharmützel. Sowohl «choreographisch» als auch musikalisch funktioniert das Setting nur im präzise getimten, streng vorherbestimmten Ablauf. So scheint bei präziser Ausführung eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem ausführenden Bogenarm und den Metallarmen und Rädern der Heidelberger Druckmaschinen auf. Dem Interpreten wird ein gleichsam maschinelles Spiel abverlangt, bei dem es im Verlauf scheinbar keinen Platz mehr für räumliche Entwicklungen gibt. So ist «Dr. Best» ein intrikates, bisweilen absurdes Spiel mit maschinellen Zuständen an der Grenze der Ausführbarkeit.


Jorge Sánchez-Chiong: Stolen Mercury

«… draining away in the darkness like a handful of stolen mercury
Hunter S. Thompson, Kingdom of Fear

Jorge Sánchez-Chiong schuf in den vergangenen Jahren immer präzisere Techniken des Ineinander-greifens von scheinbar unmittelbarem Ausdruck und komplexer Mitteilung – improvisierte/komponierte Hybride. Mit «stolen mercury» – Eva Reiter gewidmet – setzt er diese Richtung fort, im Spannungsfeld zwischen Geräuschhaftem und Instrumentalem, experimentellem Turntablism und der verfremdeten Klanglichkeit vom alten Instrumentarium.
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