ADVENTKONZERT 2005

sub tuum presidium - Unter deinem Schutz

ADVENTKONZERT 2005

sub tuum presidium - Unter deinem Schutz
Di, 06.12.2005, 19:30 Uhr

Das Schömer-Haus

Zum 500. Todestag des flämischen Komponisten Jakob Obrecht singt das Vokalensemble NOVA seine weltberühmte, wenn auch kaum gespielte Missa "Sub tuum presidium". Das SCHÖMER-HAUS, dessen Akustik einer Kathedrale ähnelt, verwandelt sich an diesem Abend in einen spätgotischen Kirchenraum.
Das Programm unseres Adventkonzertes, als Huldigung an den großartigen (aber im heutigen Konzertleben nicht angemessen repräsentierten) flämischen Meister Jakob Obrecht konzipiert, dessen Tod sich 2005 zum 500. Mal jährt, steht vollends im Zeichen der hl. Jungfrau.

Der Advent gilt, neben seiner Einstufung als Zeit der Vorfreude auf die Geburt Christi, bekanntlich als Zeitraum der Reue, der Buße und der Fürbitte. Den Beginn unseres Programms bildet also Obrechts sechsstimmige Vertonung der marianischen Antiphon Salve Regina, und im Laufe des Abends folgen weitere Marientexte, sowohl in Vertonungen Obrechts als auch im Choralgesang. Sie beleuchten verschiedene Aspekte der Mutter Gottes: ihre Rolle als Fürbitterin bis zur Anbetung Mariæ als Himmelskönigin (Regina celi).

Motetten und Choräle bilden jedoch das Rahmenprogramm für das Hauptwerk des Abends, Obrechts Messe Sub tuum presidium; diese wirklich einzigartige Messvertonung, die nicht weniger als sieben verschiedene Choralmelodien einbezieht, bildet oberflächlich eine Art Gegenstück zur bekannten „Abschiedssymphonie“ Joseph Haydns - unser Komponist bietet ein dreistimmiges Kyrie, ein vierstimmiges Gloria ... bis zum siebenstimmigen(!) Agnus Dei.
Diese hörbare Strukturwandlung ist allerdings nur ein Anfang (drei - sieben; Trinitas bis Vollendung der Schöpfung) des esoterischen Konstrukts, das Obrechts Messe darstellt. Die Messe Sub tuum presidium ist eine der Jungfrau gewidmete „Symphonie in Zahlen, eine Kathedrale des Klanges“ (Marcus van Crevel), die den Versuch wagt, alle vier Disziplinen des Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) in Klang zu vereinen.

Wir sind auf der Suche nach der Verbindung des Ästhetischen (des „durch die Sinne Wahrnehmbaren“) mit dem Noetischen (des „durch Intellekt Fassbaren“); wir laden Sie herzlichst ein, uns auf dieser ungewöhnlichen Suche zu begleiten.

Colin Mason


Programm:


Jacob Obrecht (1457?-1505): Missa „Sub tuum presidium“


Salve Regina misericordie

KYRIE ELEISON

Mater Patris

GLORIA

Beata es Maria

CREDO

Ave regina celorum

SANCTUS

Alma Redemptoris mater

AGNUS DEI


Im Laufe des Programms erklingen zusätzlich marianische Choräle mit Bezug zu den mehrstimmigen Werken


Ausführende:

Vokalensemble NOVA:

Ursula Langmayr: Sopran
Johanna von der Deken: Sopran
Daniela Janezic: Mezzosopran
James Curry: Tenor
Tore Denys: Tenor
Bernd Fröhlich: Tenor
Bernd Lambauer: Tenor
Colin Mason: Bariton
Gerd Kenda: Bass

Leitung und Konzeption: Colin Mason


Zur Hauptfigur des Abends...

Geboren 1457 oder 1458 in Gent als Sohn des angesehenen Stadttrompeters Willem Obrecht, muss Jacob Obrecht wohl eine Ausbildung als Chorknabe genossen haben – eine solche Ausbildung war die einzige, die den Jungen für eine Karriere als Universitätsstudent, Priester, Sänger und Komponist hätte vorbereiten können. Erst 1480 taucht der Name Jacob Obrecht in den uns erhaltenen Dokumenten auf, zu diesem Zeitpunkt ist er gerade zum Priester geweiht worden und hat den akademischen Grad eines Magister artium.

Um 1480 bekommt er, schon jetzt ein angesehener Komponist, eine Stelle als Chorleiter in Bergen-op- Zoom. 1484 erhält er einen wichtigen Posten an der Kathedrale zu Cambrai, wo er offenbar nur ein Jahr lang bleibt, denn ab 1485 ist er an der Kirche St. Donatien in Brügge angestellt. Dort bleibt er über fünf Jahre lang, komponiert und leitet den Chor. In Brügge hat Obrecht anscheinend Ansehen und Freiheit genossen, denn im November 1487 darf er anlässlich einer Einladung des Herzogs Ercole von Ferrara eine Reise nach Italien antreten, die bis Juni 1488 dauert. In diesem Jahr stirbt Obrechts Vater, zu seinem Totengedächtnis komponiert der Sohn die Motette Mille quingentis.

1491 oder 1492 wird Obrecht Chorleiter an der Kirche Notre Dame zu Antwerpen, ein Amt, das er bis 1497 bekleidet. Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich unsere Messe Sub tuum presidium, die genauen Formen der Choralmelodien in der Messe weisen auf einen Antwerpener Ursprung hin. Dies sollte allerdings das letzte Mal sein, dass Obrecht längere Zeit an einem Ort beschäftigt ist. 1497 lebt er wieder in Bergen-op-Zoom, eineinhalb Jahre später noch einmal in Brügge, dann schließlich kehrt er 1501 wieder nach Antwerpen zurück. Totz dieser Unruhe wächst Obrechts Ruhm als Komponist, und 1503 werden fünf Messen von Obrecht in Venedig gedruckt; diese Veröffentlichung stellt überhaupt in der Musikgeschichte erst die zweite gedruckte Sammlung von Messen dar (und folgt einer Messensammlung des großen Meisters Josquin Desprez, ein Zeichen für Obrechts Ansehen zu dieser Zeit).

1503 finden wir unseren Komponisten in Innsbruck, es existiert ein Hinweis auf eine Bezahlung des dortigen Hofes für ein Werk Obrechts mit dem Titel „Missa Regina Cæli“, das Werk selbst ist uns aber nicht erhalten geblieben. Eine weitere Messe jedoch, vielleicht Obrechts letzte, dürfte ebenfalls aus der Zeit seines Innsbrucker Aufenthalts stammen – die Messe „Maria zart“, die auf einem erst kürzlich entstandenen geistlichen Lied in deutscher Sprache basiert.

Im September 1504 erhält Obrecht schließlich eine Stelle, die seinem Können und Ruf entspricht: als direkter Nachfolger Josquins wird er Kapellmeister des Herzogs Ercole in Ferrara. Diese Glück wird nur von kurzer Dauer sein, denn im folgenden Jänner stirbt der Herzog, und Obrecht wird von Ercoles Sohn Alfonso entlassen. Obrecht besucht den Gonzaga-Hof in Mantua auf der Suche nach einer neuen Stelle, aber ohne Erfolg.

Nach seiner Rückkehr nach Ferrara stirbt Obrecht, keine fünfzig Jahre alt, an der Pest, die im Juni 1505 in Ferrara ihren Höhepunkt erreicht. Er ist einer von sechstausend Opfern.


Zu unserem Konzert...

Jacob Obrecht hat uns an die dreißig Messen, eine ähnliche Anzahl von Motetten und eine kleinere Menge weltlicher Lieder hinterlassen. Kein Wunder, dass Messkompositionen an erster Stelle kommen, die Vertonung einer Messe stellte für die franko-flämische Schule, zu der Obrecht gehörte, die höchste Kategorie der Komposition dar – so der Theoretiker Johannes Tinctoris, der circa 1480 den jungen Obrecht in eine Liste der zehn Komponisten, deren Werke „in der ganzen Welt“ bekannt sind, aufnimmt. Fast alle Messen Obrechts basieren auf melodischem Material, das schon vorher existierte, auf einem so genannten cantus firmus (etwa „fester Gesang“), wobei das angewendete melodische Material sowohl aus dem geistlichen Bereich (z.B. Choralgesang) als auch aus dem weltlichen stammen konnte. Unter Obrechts Messen finden wir neben den Messen „Ave regina celorum“, „Petrus apostolus“ oder „Sub tuum presidium“ auch Kompositionen über „Fortuna desperata“, „Je ne demande“ und sogar eine Missa Pfauenschwanz.

So gesehen ist die Messe „Sub tuum presidium“ in ihrer Einbeziehung von bereits bestehendem Material gar nicht ungewöhnlich. Außerordentlich aber ist, das unser Komponist sich hier nicht mit einer Choralmelodie begnügt. Im Laufe der Messe dienen insgesamt sieben (!) verschiedene Melodien aus sechs verschiedenen marianische Chorälen als Baumaterial Allein die Antiphon, die der Messe ihren Titel verleiht, wird in jeden der fünf Sätze einbezogen Im folgenden der lateinische Text und seine Übersetzung:

Sub tuum presidium confugimus, Sancta Dei Genitrix:
nostras deprecationes ne despicias in necessitatibus:
sed a periculis cunctis libera nos semper, Virgo benedicta.

Unter deinen Schutz nehmen wir unsere Zuflucht, heilige Gottesgebärerin. Unsere Bitten verschmähe nicht in unseren Nöten,
sondern befreie uns stets von allen Gefahren, gepriesene Jungfrau.


Wenn die Messe „Sub tuum presidium“, die die esoterische Seite Obrechts präsentiert und den Kom- ponisten als Architekt erweist, so sind die Motetten unseres Programms


VOKALENSEMBLE NOVA (Wien)

Das Vokalensemble NOVA arbeitet seit 1992 zusammen und hat sich auf Kompositionen aus der Blütezeit der a cappella Vokalmusik - der Renaissance - auf Werke des Mittelalters, des Barock, des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts in solistischer Besetzung spezialisiert.

NOVA besteht im Kern aus sechs Sänger/innen, die neben klassischer Ausbildung reiche Erfahrung mit angesehenen Dirigenten und Ensembles im In- und Ausland mitbringen. Je nach Projekt variiert die Mitgliederzahl des Ensembles, um die klanglichen Möglichkeiten optimal auszuschöpfen. Oft wird NOVA gerade durch nichtmusikalische Aspekte der Kulturgeschichte zu ausgefallenen Konzertprogrammen inspiriert.

Das Vokalensemble NOVA ist seit seiner Gründung häufiger Gast auf großen Musikfestivals im In- und Ausland: Dazu zählen Auftritte in Graz bei der styriarte und dem steirischen herbst, die szenische und musikalische Mitwirkung in Hofmannsthals Jedermann bei den Salzburger Festspielen in den Jahren 1995 bis 2001, mehrere Österreich-Tourneen sowie Auftritte im Wiener Musikverein und im Wiener Konzerthaus. In Zusammenarbeit mit dem renommierten Instrumentalensemble Klangforum Wien sang das Ensemble bei Festivals für Neue Musik in Wien, Zürich, Straßburg, Luzern und Berlin. Darüber hinaus hat NOVA bei zwei CD-Produktionen von Klangforum Wien (Beat Furrers Narcissus und Jean Barraqués Le temps restitué; 1998 ausgezeichnet mit einem Grand Prix du Disque) und bei CD-Aufnahmen der Wiener Akademie sowie des Clemencic Consort mitgewirkt.

Im Bach-Jahr 2000 realisierte NOVA im Rahmen einer Österreich-Tournee gemeinsam mit dem Instrumentalensemble Capella Musicæ Graz Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion in der selten gehörten Fassung II (1725); im selben Jahr waren die beiden Ensembles mit Bachs so genannter Messe in H-moll in kleiner Besetzung zu hören. Bei den Salzburger Festspielen präsentierte NOVA in der Reihe Next Generation, zusammen mit Klangforum Wien, Claude Viviers Kantate Prologue pour un Marco Polo.

2001 gastierte NOVA u.a. bei den internationalen Festivals für zeitgenössische Musik in Wien, Graz, Donaueschingen und Berlin, die konzertante Uraufführung von Beat Furrers Begehren beim steirischen herbst bildete hier den Höhepunkt. Im Jahre 2002 war NOVA u.a. mit mittelalterlicher Musik in Österreich, Deutschland und Italien zu hören.

Den Auftakt der Saison 2002/03 bildete ein Aufsehen erregendes Projekt, das NOVA zusammen mit der Wiener Companie DANS-KIAS bei Wien Modern realisierte: Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda und Berios A-Ronne unter der Regie von Saskia Hölbling. Zu den international beachteten Engagements 2003 gehörten auch die Mitwirkung bei der szenischen Produktion von Furrers Begehren im Rahmen von Graz 2003 und der Ruhr-Triennale in Bochum (Regie: Reinhild Hoffmann), Konzerte mit den gesamten Karwochen-Responsorien Carlo Gesualdos sowie die Mitwirkung an der Uraufführung des Musiktheaterwerkes Die schöne Wunde von Georg Friedrich Haas bei den Bregenzer Festspielen.

2004 realisierte NOVA Tonaufnahmen zur Einspielung bei der Oper Amerika von Roman Haubenstock-Ramati für eine neue Produktion am Stadttheater Bielefeld. Im Rahmen der styriarte 2004 präsentierte NOVA Musik der Renaissance und des Frühbarock: Keplers Traum war anschließend bei der Space Night des Bayerischen Rundfunks im November 2004 nochmals zu hören. Den Ausklang des Jahres 2004 bildete die Mitwirkung an der österreichischen Uraufführung von Beat Furrers neuester Oper Invocation. Im Jahr 2005 gehörte die Linzer Aufführung der „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi zu den umjubelten Highlights.

Für 2006 stehen unter anderem zwei szenische Produktionen auf dem Programm: anlässlich des Mozart- jahres wird NOVA an „Odio Mozart“, dem jüngsten Musiktheaterwerk von Georg Friedrich Haas mitwirken, am Schauspielhaus Wien gestaltet das Vokalensemble NOVA gemeinsam mit Klangforum Wien die österreichische Erstaufführung der Oper „Idiot“ von Johanes Harneit. Geplant sind zudem Konzerte in Wien mit Musik von Claudio Monteverdi und anderen Meistern der Renaissance.
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