[bracket] #3

Graphical Notation and Improvisation

[bracket] #3

Graphical Notation and Improvisation
Mi, 01.11.2000, 20:00 Uhr

Essl Museum

Trio im leeren, fensterlosen Depot. Instrumentale Kammermusik unter Einbeziehung elektronischer Mittel. Umsetzung graphischer Notation. Improvisatorische Einschübe. Festgelegte Strukturen. Aleatorik.
Gene Coleman (Chicago): bass clarinet
Burkhard Stangl (Wien): electric guitar, electronics
Werner Dafeldecker (Vienna): double bass, electronics


Gene Coleman
Transcription of the Air (2000)
for three musicians and electronics

Burkhard Stangl / Werner Dafeldecker
bricolage (2000)
for three musicians, tape and electronics


Trio im leeren, fensterlosen Depot. Instrumentale Kammermusik unter Einbeziehung elektronischer Mittel. Umsetzung graphischer Notation. Improvisatorische Einschübe. Festgelegte Strukturen. Aleatorik.


Wien darf mit Chicago musizieren: Die beiden Wiener Burkhard Stangl und Werner Dafeldecker setzen bei Wien Modern ihre Zusammenarbeit mit dem Composer-Performer Gene Coleman aus Chicago fort. Die drei Musiker spielen ansonsten auch in der Gruppe «Wien-Chicago» mit weiteren Musikern (Kevin Drumm, Nick Colins, und Michael Moser) zusammen. An der University of Chicago kuratierten heuer im Frühjahr die Wiener ein Festivalprogramm, bei dem u. a. Werke von Olga Neuwirth und Roman Haubenstock-Ramati aufgeführt wurden.

Ein Klang-Kunst-Raum, wie man ihn im Ausstellungshaus in Klosterneuburg vorfindet, ist für Gene Coleman eine vertraute Umgebung. Er ist ebenso als bildender Künstler wie als Filmemacher und Musiker ausgebildet und tätig. Zu seinen Kompositionslehrern zählt die amerikanische Vaterfigur von Raummusik, Henry Brant. Im Gegensatz zu diesem erweitert Gene Coleman das Spektrum instrumentaler Klangerzeugung mit elektronischen Mitteln. Aber das Instrument - in seinem Fall die Baßklarinette - ist wie bei Burkhard Stangl (Gitarre) und Werner Dafeldecker (Gitarre, Kontrabaß) der Anker des Musizierens. Stangl erweitert die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments durch Peripheriegeräte (Verzerrer, Effektgeräte, etc.). Elektronisch verstärkt werden auch Präparierungen des Instruments mit speziellen Requisiten (Büroklammern, Stricknadeln). Werner Dafeldecker verstärkt das instrumentale Spiel mit direkten Tonabnehmern und durch Pick-ups. Gene Coleman sucht durch radikale Verwendung erweiterter instrumentaler Tonerzeugung eine Synthese aus Klang, Geräusch und Musik.

[Der Augen-und-Ohren-Künstler] Gene Coleman läßt in seinem Stück Transcription of the Air eine vier Meter lange Papierrolle an die Wand des Großen Saales der Sammlung Essl achiffieren. [Eine Raumpartitur]. Sie enthält Text, musikalische Notation, graphische musikalische Elemente und abstraktes visuelles Material. [Ein Gemälde, das Klänge auslöst] Für die Ausführenden ergibt die Partitur eine spezifische musikalisch-klangliche Struktur. Aber die Größe der Partitur verlangt den Musikern nicht nur musikalische, sondern auch physische Beweglichkeit ab. [Klänge und Musiker durchmessen den Raum] Für den Transport der klanglichen Requisiten und der elektronischen Gerätschaft könnten sich in diesem mobilen Stück Tischchen mit Fußrollen eignen.

Werner Dafeldecker ist überzeugt, daß die Zukunft die Entdeckung zahlloser Möglichkeiten bereithält, wie akustische und elektronische Instrumente kombiniert werden können. Gelegenheit zu solchen Entdeckungen wird Dafeldecker die Fortsetzung der vertrauten musikalischen Zusammenarbeit mit Burkhard Stangl - beide wirken u. a. auch in der Gruppe Polwechsel mit - geben. Der Ethnologe Burkhard Stangl entnahm für sein Stück den Begriff «bricolage» («Bastelei») der Schrift Traurige Tropen des Ethnologen und Philosophen Claude Lévi-Strauss, der ihn in bezug auf indianische Kunst verwendete. Lévi-Strauss beschreibt damit Kunst als ein Phänomen, das im Prozeß selbst - ohne große Vorplanung - entsteht. Dementsprechend hat Stangl für sein Stück zwar gewisse Materialien und Strukturen festgelegt, die aber in einem aleatorischen Prozeß, in vorher nicht festlegbaren Abfolgen, musikalisch abgefragt und entwickelt werden. Die Mischung der Klänge entsteht im Prozeß des Musizierens selber: Kunst ist unmittelbar und nicht vorgefertigt. Die Einteilung der zeitlichen Strukturen und das Klangrepertoire entscheiden sich live. Selbst wenn Zuspielungen von vorproduziertem Material über CD-Player kommen, werden sie im musikalischen Augenblick sofort verändert.

© 2000 by Rainer Lepuschitz / WIEN MODERN
in: Almanach WIEN MODERN 2000, hrsg. von Berno Odo Polzer (Wien 2000)
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