[bracket] #2

A concert with pieces of the British electronic music formation FURT

[bracket] #2

A concert with pieces of the British electronic music formation FURT
Mi, 15.11.2000, 20:00 Uhr

Essl Museum

Duo im gedeckten Lieferhof, der im Depot der Sammlung Essl liegt und durch einen Lastenlift mit den Ausstellungsräumen verbunden ist. Neue Komplexität von FURT (Richard Barrett und Paul Obermayer aus England). Mischung aus Konzept und Improvisation mit Computer, Keyboards und Elektronik.
Richard Barrett (Amsterdam): computer
Paul Obermayer (London): sampler


FURT
implant (2000)

FURT
Volksmusik (2000)
created specifically for this concert, in solidarity with the resistance against Austrian neofascism

FURT
go WHERE? (2000)


Duo im gedeckten Lieferhof, der im Depot der Sammlung Essl liegt und durch einen Lastenlift mit den Ausstellungsräumen verbunden ist. Neue Komplexität von FURT (Richard Barrett und Paul Obermayer aus England). Mischung aus Konzept und Improvisation mit Computer, Keyboards und Elektronik. Tastenvirtuosität im 21. Jahrhundert: In einer Sekunde werden zehn verschiedene musikalisch-klangliche Aktionen ineinandergefügt. Das neue Werk der beiden Musiker, für [bracket] geschaffen, ist ein Statement in Solidarität mit dem Widerstand gegen den österreichischen Neofaschismus. Über ihre musikalische, technische, geistige und schöpferische Arbeit schreiben FURT:

«FURT erblickte das Licht der Welt am 17. März 1986. R arbeitete zu diesem Zeitpunkt mit einem Quintett namens The Number Twos zusammen, das sich der Improvisation verschrieben hatte. In den Pausen zwischen den Proben stand das Equipment dieser Gruppe einladend in Rs Haus herum. Wir verbrachten zwei Tage damit zu spielen, Aufnahmen zu machen und (in den Pausen) durch einen "Spurious Words" genannten Abschnitt des Oxford English Dictionary zu blättern. Auf der Suche nach möglichen Titeln und anderweitig nützlichen Begriffen und Definitionen stießen wir auf folgende Eintragung: "[Furt, in Wbb. mit der Bedeutung Diebstahl wiedergegeben, Druckfehler in der letzten Ausg. von Tomkis' Albumazar, eigentlich 'furie' (Wut, Ungestüm, Heftigkeit)]".

Zu dieser Zeit bestand unser Instrumentarium aus E-Gitarren, Posaune, Schlagzeug, Krummhorn, Synthesizern, Stimmen, Cracklebox, Staubsauger, Effekt-Pedalen, Kassettenrecordern sowie allen anderen in Reichweite befindlichen Gegenständen, die für unsere Improvisationen herhalten mußten. Unsere Überlagerungstechniken waren ausgesprochen low-tech: Live-Auftritte als Duo hätten sich als nahezu unmögliches, auf jeden Fall aber als schwieriges Unterfangen erwiesen. Doch allmählich begann sich aus der traurigen Mischung von Verstärkungsproblemen und Bandrauschen eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Im Jahr darauf luden wir einige Freunde zu gemeinsamen Konzerten ein, die jedoch in vielerlei Hinsicht ziemlich unbefriedigend verliefen. Einer der Musiker (Dafydd Thorne, Mitglied von The Number Twos) brachte bei dieser Gelegenheit einen Casio SK-1 Sampler mit - und veränderte damit unsere Arbeit grundlegend. Sampling schien das Gebot der Stunde zu sein. Nicht, um in eine postmoderne Welt des wahllosen Zitierens einzutauchen, sondern um unser Klangrepertoire auszuweiten (bis an die Grenzen unserer Phantasie), ohne eine ganze Wagenladung an Instrumenten herumschleppen und zusätzliche Gliedmaßen entwickeln zu müssen. Der Großteil unseres Sampling-Materials besteht aus eigenen Aufnahmen und/oder wurde bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet. Ein typisches Kennzeichen unserer Arbeit ist die Verwendung von eigenen oder gesampelten Stimmen. Stimmen, die (oft verzweifelt) bemüht zu sein scheinen, eine letztendlich doch unverständlich bleibende "Botschaft" mitzuteilen.

Zurück zu unserer Geschichte. Nach zwei Gigs in fünfköpfiger Besetzung beschlossen wir, von allen Konzerten abzusehen, bis die Zeit für einen Soloauftritt als Duo gekommen war. 1991 wagte FURT in Stockholm erstmals wieder einen Bühnenauftritt. Unsere Ausrüstung bestand aus zahlreichen Casios (Walkmen-gespeist) und, zum allerletzten Mal, einer E-Gitarre, der wir bereits ein Eck abgesägt hatten, um sie in dem eigens für die Tour ausgeborgten Gitarrenkasten unterbringen zu können. Die Schar der Zuhörer war klein und nahm während des Konzertes kontinuierlich ab. Aber unser zukünftiger Weg lag klar vor uns. In den folgenden Jahren spielten wir in der Londoner Impro-Szene (und schafften es immerhin ins Radio und Fernsehen). Wir tauschten unsere Spielzeugsampler gegen professionellere Geräte. Einige der Auftritte enthielten zusätzlich visuelle Komponenten in Form von Installationen und Projektionen des Künstlers Richard Crow. Nicht unbedingt vorhersehbar war die Entwicklung einer Art "Virtuosität" im Umgang mit dem Klangmaterial: In der Zeit nach der Gründung von FURT verfügten wir nur über eine äußerst notdürftige musikalische Ausstattung - Klangquellen, die nicht "gespielt" werden konnten, und Instrumente, die wir nicht spielen konnten. Beides gehört noch immer zu unserem Vokabular (wenn auch eher in der Vorbereitung des Materials als während eines Auftrittes) und hat Eingang in unsere Studiotechniken gefunden: Plumpe, ungeschickte Montagen, Stereokanäle, die auf unerklärliche Art und Weise aussetzen oder einen eigenen Nachhall entwickeln, zufällige Klangartefakte, Hardwaredefekte etc. werden zu kompositorischen Elementen.

In letzter Zeit haben wir uns einmal mehr von der Abhängigkeit von externen Quellen befreit und bereiten das Material größtenteils zu Hause vor. Die Technik mit all ihren Veränderungen beeinflußt auch die FURT-Klangwelt, stand aber nie im Mittelpunkt. Den Kern des Projektes bildet der Klang, nichts als der Klang. Der Klang jedoch versucht, etwas über das Wesen der Realität, des Denkens, der Gesellschaft, der Musik und nicht zuletzt über sich selbst auszudrücken, um nur einige Beispiele anzuführen. In Augenblicken der Melancholie sehen wir darin eine (notwendigerweise entfremdete) Vision der künstlerischen Arbeit in einer post-individualistischen Welt.

In unserer Vorstellung verbinden wir FURT eher mit einer als mit zwei "Personen". Die Arbeit an diesem Projekt ermutigt uns dazu, "extremere" Ideen und musikalische Lösungen zu entwickeln, als wir dies allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Musikern tun würden - ein ganz wichtiger Aspekt. Die Kommunikation während unserer Konzerte läuft im allgemeinen so ab, daß einer dem anderen zu verstehen gibt, etwas Bedeutendes müsse geschehen. Zwar verfügten wir ursprünglich über ein Repertoire an Signalen, sind aber mangels Verwendung davon abgekommen. Wir mischen unsere Performance live auf der Bühne und spielen ohne viel zu fragen mit den Outputlevels des anderen herum.

Die Synchronisierung von Handlungsabläufen zählt zu jenen Dingen, die einfach ihren Lauf nehmen. Die symbiotische Atmosphäre einer FURT-Performance drückt sich zweifellos in unseren simultanen Entscheidungen aus, etwas zu tun, zu ändern oder eine bestimmte Handlung zu unterbrechen. Zur Zeit beschäftigen wir uns mit einer enorm beschleunigten Form des "Dialoges". Dabei füllt ein Spieler die Pausen des anderen mit Klängen, im besten Fall mehrere Male pro Sekunde (aber nicht regelmäßig). Bereits heute ist der funktionale Unterschied zwischen aufgezeichnetem Material und Live-Klängen in einer FURT-Performance nur mehr schwer auszumachen. Ersteres (in Form von CD-Playbacks) wird in Zukunft wahrscheinlich ganz verschwinden. Zwar gehören Unterbrechungen und/oder Ein- und Ausblenden der CD durchaus zum Programm, doch die Zeit ist reif für einen flexibleren Ersatz mit vergleichbarer oder größerer Speicherkapazität. Für einen zusätzlichen Computer beispielsweise, der einerseits die Rolle eines dritten Musikers übernehmen könnte, andererseits zu gegebener Zeit widerspruchslos unsere Befehle ausführt.

Die Form unserer Stücke ändert sich von einem Konzert zum anderen kaum. Ausgehend von einem neuen Level an klanglicher Komplexität beschäftigen wir uns mit einem Werk so lange, bis wir es (relativ gesehen) beherrschen. Existiert erst einmal eine gute Aufnahme davon, verzichten wir meist auf weitere Aufführungen. Es ist zu einem Stück aufgezeichneter Musik geworden, mit der Möglichkeit, es zu veröffentlichen, zu senden oder in anderer, nicht konzertanter Form der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleichzeitig arbeiten wir auch an Studiokompositionen (man denke an unsere zweite CD Angel, die aus einem einzigen, 70minütigen Stück besteht, das speziell für dieses Medium konzipiert wurde). Zwar stehen diese Aktivitäten nicht in direktem Zusammenhang mit unseren Auftritten, doch stammt das meiste Material ursprünglich aus unseren Live-Improvisationen.

Einige Zuhörer (und Musiker!) neigen dazu, sich ausschließlich auf die Technik zu konzentrieren und weniger auf die musikalische Absicht, die dahinter steckt - ein Berufsrisiko bei elektronischen Live-Konzerten. Eine solche Zugangsweise mißversteht das FURT-Konzept. Unser 'Instrument' befindet sich mindestens ebenso in unseren Gehirnen (bzw. im Gehirn der Einpersonen/Zweipersonenidentität von FURT) wie auf dem Tisch vor uns.» (London und Amsterdam, 2. Mai 2000)

Übersetzung aus dem Englischen von Elfi Cagala.
© 2000 by Rainer Lepuschitz / WIEN MODERN
in: Almanach WIEN MODERN 2000, hrsg. von Berno Odo Polzer (Wien 2000)
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