Adventkonzert 1998

Orpheus Trio Wien

Adventkonzert 1998

Orpheus Trio Wien
Sa, 12.12.1998, 20:00 Uhr

Das Schömer-Haus

Gründliche Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition ist gerade bei den Komponisten zu beobachten, die diese wiederum am radikalsten gesprengt haben: Arnold Schönberg, der Vater der Neuen Musik, verstand sein Komponieren als zwingende Fortsetzung des klassischen Musikdenkens.
Gründliche Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition ist gerade bei den Komponisten zu beobachten, die diese wiederum am radikalsten gesprengt haben: Arnold Schönberg, der Vater der Neuen Musik, verstand sein Komponieren als zwingende Fortsetzung des klassischen Musikdenkens und sah sich selbst als Endglied einer Entwicklungslinie von Bach über Mozart zu Beethoven, Brahms und Mahler. Seine oftmals gründlich missverstandene Technik der "Komposition mit zwölf nur auseinander bezogenen Tönen" fußt auf den klassischen musiksprachlichen Prinzipien und führt diese in extrem verdichteter Form weiter: jeder Ton der Komposition steht in einem unmittelbaren Verhältnis zum unterirdischen Steuerungssystem des Werkes - der Zwölftonreihe, aus der jegliches musikalische Material abgeleitet wird.

Der Rückgriff auf das Erbe seiner Väter findet sich auch bei Mozart: Im Jahre 1782 entdeckte er über Vermittlung des Baron van Swieten den damals bereits in Vergessenheit geratenen Johann Sebastian Bach für sich und war von dessen "Wohltemperierten Clavier" so fasziniert, dass er einige Fugen daraus für Streichtrio bearbeitete und ihnen eigene Adagios voranstellte.

Schönberg, dessen Todestag sich im Jahre 2001 zum fünfzigsten Mal jährt, steht auch im Zentrum der nächsten Adventkonzerte im SCHÖMER-HAUS: Schlüsselwerke aus allen Schaffensperioden werden in den nächsten Jahren in exemplarischen Interpretation zu hören sein: begonnen wurde dies bereits letztes Jahr mit der Kammersymphonie op. 9, heute steht sein großes Streichtrio op. 45 auf dem Programm, und in den nächsten Jahren erwarten uns sein frühes Streichquartett in D-Dur, Pierrot Lunaire und schließlich sein dodekaphonisches Meisterwerk, das Bläserquintett op. 26.

Dr. Karlheinz Essl
Musikintendant des SCHÖMER-HAUSES




Programm


Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791)
Johann Sebastian Bach (1685 - 1750)

Adagios KV 404a - Fugen aus dem Wohltemperiertem Clavier

Adagio d-Moll - Fuga (WTC I, BWV 853)
Adagio F-Dur - Fuga (WTC II, BWV 882)
Adagio g-Moll - Fuga (WTC II, BWV 883)


Arnold Schönberg (1874 - 1951)
Streichtrio op. 45 (1946)



Ausführende

Orpheus-Trio-Wien

Christina Neubauer: Violine
Martin Kraushofer: Viola
Ulrike Rohland: Violoncello



Christian Baier
Offenbarung des Möglichen
Mozarts Bach-Rezeption und Schönbergs Streichtrio


Am 16. März 1781 trifft Mozart von München kommend in Wien ein. Die Übersiedelung nach Wien war für Mozart eine Flucht in eine Freiheit, die es ihm ermöglichte, sich mit neuen Inhalten zu befassen.

Im Wien der Achtziger-Jahre des 18. Jahrhunderts wurde Mozart massiver als bisher mit der musikalischen Vergangenheit konfrontiert. Während er mit der Musik Händels bereits vertraut war, stellte für ihn das Werk von Johann Sebastian Bach Neuland dar. Bach wirkte damals nicht durch seine Werke, sondern durch seine Söhne Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann sowie im Schaffen seiner Schüler (u.a. Johann Ludwig Krebs) weiter.

Das Bachsche ¼uvre diente Mozart als Anregung und Inspiration zu eigenen Werken wie der Fuge c-moll für zwei Klaviere KV 426 (später in instrumentierter Form in das Adagio und Fuge c-moll KV 546 integriert) und der Fuge C-Dur für Klavier. In der Diskussion um die Bedeutung Bachs für das Schaffen Mozarts Schaffen wurden allerdings die Sechs dreistimmigen Fugen KV 404a bislang nur peripher behandelt, obwohl sie Mozarts Beschäftigung mit Bach nicht nur im Bereich der Inspiration, sondern in der direkten Auseinandersetzung dokumentiert.

Zentrum der Bach-Pflege in Wien war der Kreis um Gottfried van Swieten, den Sohn des Leibarztes der Kaiserin Maria Theresia. Van Swieten war als Gesandter am preußischen Hof mit dem Schaffen Bachs in Berührung gekommen. Mozart lernte van Swieten bereits 1768 kennen. In Wien begegnete er ihm wieder. Ihr Kontakt intensivierte sich im Frühjahr 1782. "Ich gehe alle Sonntage um 12 Uhr zu Baron van Suiten", berichtet Mozart an seinen Vater im April 1782, "und da wird nichts gespiellt als Händl und Bach. - ich mach mir eben eine Collection von den Bachischen fugen. - so wohl sebastian als Emanuel und friedeman Bach."

Die Matineen im Hause van Swietens waren nicht als Konzerte konzipiert, mit denen die Feudalgesellschaft Kunstsinn zu beweisen suchte. Sie hatten wenig Ähnlichkeit mit den musikalischen Veranstaltungen etwa eines Fürsten Esterházy. Van Swietens "Hausmusikabende" waren der halboffizielle Rahmen für eine intensivere Beschäftigung mit Musik, vergleichbar dem Schubert-Kreis oder dem "Verein für musikalische Privataufführungen" von Schönberg. Man kann von einer geistigen Enklave sprechen, die sich bewußt vom allgemeinen Geschmack der Zeit abgrenzte. Das Publikum bestand großteils aus der denkerischen "Avantgarde" der Zeit. Van Swieten begründete mit seinen Matineen eine Tradition, die neue Rezeptionszugänge zur Musik zu schaffen versuchte; eine Idee, der auch die Konzerte im SCHÖMER-HAUS verpflichtet sind.

Für die Matineen schrieb Mozart die Einrichtungen von drei Fugen aus dem "Wohltemperierten Klavier" von Johann Sebastian Bach sowie aus dessen Orgelsonate Nr. 2 (BWV 526) und des Contrapunctus 8 aus der "Kunst der Fuge" sowie der Fuge Nr. 8 von Wilhelm Friedemann Bach. Zu vier der Fugen (f-moll, g-moll, d-moll und F-Dur) komponierte Mozart Einleitungen. Sie sind alle mit der Tempobezeichnung "Adagio" versehen und orientieren sich auch an der "Adagio"-Gestiks Bachs. (Besonders interessant ist dabei, daß Mozart verschiedene gestische Wendungen Bachs übernimmt oder nachahmt, aber keineswegs versucht, dabei "im Geiste Bachs" zu komponieren.) Zwei Präludien von Bach (Largo aus der Orgelsonate II und Adagio e dolce aus III) übernimmt Mozart direkt in seine Einrichtungen.

Die Urheberschaft Mozarts an den Präludien ist durch keinen Autographen belegt. Die Theorie, wonach die beiden "Einrichtungen" von Georg Albrechtsberger stammen könnten, ist als abwegig zu bezeichnen. Zwar weisen Albrechtsbergers Streichquartette op. 21 genau die gleiche Anlage aufweisen, doch vergleicht man die Adagios in den Streichquartetten mit den Präludien aus KV 404a, so zeigt sich, daß die ersten zwar handwerklich sehr geschickt gemacht sind und einige raffinierte Wendungen aufweisen, von der musikalischen Erfindung und vom Stilgefühl her aber weit hinter den Präludien zurückbleiben.

Wenn das Werk vordergründig Mozarts Beschäftigung mit Bach dokumentiert, so setzt er unbewußt - doch in der Kunstgeschichte gibt es den Faktor des Unbewußten nicht - den Anfang einer langen Tradition von "Bearbeitungen", deren Ziel es nicht bloß ist, ein älteres Werk in ein neues, vielleicht zeitgemäßeres "Gewand" zu kleiden, sondern ästhetische wie auch kunstideologische Verbindungslinien zu ziehen. So sind die Sechs dreistimmigen Fugen mit der kulturellen Vergangenheitsrezeption der "Zweiten Wiener Schule" vergleichbar, die danach strebte, die angefeindete Moderne als eine logische Weiterentwicklung der Musikgeschichte begreifbar zu machen durch das Bewußtsein, daß künstlerische Vergangenheit keine zu negierende, zu überwindende oder gar jemals überwindbare Epoche ist, sondern ein obligater Bestandteil der Gegenwart.

Am 2. August 1946 erlitt Arnold Schönberg einen Herzinfarkt. Vor dem Tod konnte ihn nur eine rechtzeitig vorgenommene intrakardiale Adrenalin-Injektion retten. Schönberg war 72 Jahre alt, doch den Herzinfarkt allein dem Alter zuzuschreiben, ist weit gefehlt. Vielmehr war er der Kulminationspunkt eines Exilantenlebens, das alles andere denn erfolgreich verlaufen war.

1933 war Schönberg nach Amerika gekommen, sich der Tatsache bewußt, daß "ich mein Handelszeichen nicht wechseln konnte. Ich war der Mann mit dem 'System der chromatischen Leiter'." Doch als dieser trat er vorerst nicht auf. Seine erste im amerikanischen Exil vollendete Komposition ist die Suite im alten Stile für Streichorchester, die seine grundsätzlich konservative Haltung widerspiegelt: "Eine Kultur ist nur durch Wachstum zu erhalten, weil sie, wie alles lebt, nur leben kann, solange sie noch wächst, daß sie aber stirbt, verdorrt, sobald sie aufhört, sich zu entwickeln; daß somit Technisches, geistiges, künstlerisch nur darum konservierungswert sein kann, weil es eine Vorstufe zu neuem Weiterschreiten, zu neuem Leben bedeutet..." Das Prinzip des "Nachschaffens", des "Bearbeitens" der kulturellen Vergangenheit zum Zweck der künstlerischen Weiterentwicklung (also als durchaus antirestauratives Prinzip) tritt dabei deutlich zutage. Die weiteren Werke, die Schönberg in den USA schuf, stellen Missing Links zwischen der konservativen Grundhaltung und jener Progression der künstlerischen Entwicklung dar, als das Schönberg die Moderne bezeichnet. Die amerikanischen Jahre Schönbergs nehmen sich rückblickend gesehen als konsequente Auswertung der in Europa gemachten "Entdeckungen" und "Erfindungen" aus.

Die Zeit im amerikanischen Exil war wie Schönbergs Anfangsjahre in Europa geprägt vom Kampf um Anerkennung und materieller Not. Die Pension, die er ab 1944 aus seiner Lehrtätigkeit bezog, betrug 38 Dollar, die Guggenheim-Stiftung lehnte Schönbergs Antrag auf ein Stipendium ab. Alma Mahler-Werfels Tagebuchnotiz, "Schönberg ist am Verhungern", ist gewiß keine Übertreibung. Solche Lebensumstände und das Ende des Krieges, das Schönberg (wie vielen Emigranten und Exilanten) die Unmöglichkeit einer Rückkehr in die Heimatländer vor Augen führte (weil diese Länder keine Heimat mehr waren), kulminierten im Herzinfarkt.

In der Zeit der Rekonvaleszenz komponierte Schönberg das Streichtrio op. 45. Die meistdiskutierte Komposition zählt zu den retrospektiven Kompositionen Schönbergs. Dies zeigt sich schon im Rückgriff auf die Form gegliederter Einsätzigkeit, wie sie am Anfang des Jahrhunderts "in Anpassung an den Glauben der Zeit" in der 1. Kammersymphonie ihren Niederschlag gefunden hatte.

Nach eigenen Angaben Schönbergs zeichnet das Streichtrio den Verlauf der Krankheit bis hin zur Erinnerung an den Einstich der Injektionsnadel nach, mit Programm-Musik im herkömmlichen Sinn hat das Werk allerdings nichts zu tun. In vielen Kompositionen der "Zweiten Wiener Schule" werden biographische Anspielungen in das musikalische Material verwoben (z.B. die aus den Initialen von Hanna Fuchs abgeleiteten Tonsymbolik in Bergs Lyrischer Suite). "Schönbergs Altersstil", bemerkt Mathias Hansen, "zeichnet sich bei ungeminderter Konsequenz reihentechnischer Durchbildung der Struktur durch weitere Steigerung und Verdichtung des musikalischen Ausdrucks aus. Das Trio erscheint (...) als nicht mehr zu übertreffende Verwirklichung jener Idee einer ornamentfreien, auf das Wesentliche eines 'zu sagenden' musikalischen Gedankens gerichteten Darstellung..."

Das Streichtrio ist bestimmt von seinem sprechenden Charakter, seiner auf Gesten verkürzten und chiffrierten Thematik und von der aus dem musikalischen Material geradezu destillierten formalen Gestaltung. Schönberg operiert in den drei bruchlos ineinander übergehenden Teilen (als "Parts" und gleichzeitig als "Episodes" bezeichnet) mit motivischen Vokabeln und klanglichen Bildern, die auf engstem Raum zusammengedrängt erscheinen. Daraus resultiert die atemlose Spannung des Werkes, der sich als unvermittelter (d.h. nicht organisch aus dem Vorangegangenen entwickelter, sozusagen "logischer") Kontrapunkt in der 1. Episode ein ruhiges, gesangliches Thema und in der 2. Episode ein langsamer Walzer mit fallenden Geigenterzen entgegenstellt. "Zum ersten und einzigen Mal", konstatiert Hans-Ulrich Fuss, "wird das Prinzip des aktiven Gestaltens - das Beethovensche Erbe - geopfert zugunsten eines passiven, fragmentarischen Sichüberlassens an den Augenblick. Scheinbar unverbunden reihen sich in der Musik rezitativische und kadenzhafte Gesten aneinander."

Dennoch ist das Streichtrio nicht vom Gedanken inspiriert, den in den Zwanziger und Dreißiger Jahren entwickelten Formgedanken fallen zu lassen. Das Streichtrio endet nicht offen wie etwa Bergs Streichquartett op. 3, sondern sucht in einer Symbiose von Material und Form sein Finale, das auf das Material des 1. Teiles zurückgreift und es in einer verkürzten Reprise noch einmal gestaltet.

Das Streichtrio, 1948 uraufgeführt, wurde schon bald nach seiner Bekanntwerden in Europa für viele Komponisten Orientierungspunkt und Leitfaden bei der künstlerischen Überwindung des "tausendjährigen" Kulturvakuums. Schönberg löste in diesem Werk das "uralte, abendländische" Problem von Inhalt, Ausdruck, Form und Technik auf stringenteste und exemplarische Weise. Für die Weiterentwicklung der Musik nach 1945 besitzt das Streichtrio ähnliche Wichtigkeit wie das Schaffen Bachs für Mozart. - Es ist eine "Offenbarung des Möglichen".


Christian Baier, geb. in Wien, Studium der Musikwissenschaft und Germanistik, arbeitete als Zeitungsredakteur und Musikreferent bei den Wiener Festwochen, gründete 1996 die Urania Menschenbühne, Wiens erstes MigrantInnen-Theater.



Orpheus-Trio-Wien

Dieses Streichtrio wurde im Jahre 1990 gegründet. Sein Repertoire umfasst neben den bekannten Werken der Wiener Klassik auch die selten gespielte Trios von Max Reger, Jean Francaix, Gideon Klein etc. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die großen Kompositionen unseres Jahrhunderts (Arnold Schönberg, Anton Webern) sowie die Pflege zeitgenössischer Musik. So wurden in den letzten Jahren Werke von Friedrich Keil, Rudolf Hinterdorfer, Axel Seidelmann, Horst Ebenhöh und Karlheinz Essl uraufgeführt.

Das Trio absolvierte Studienkurse bei Rudolf Leopold und Siegfried Führlinger, arbeitete mit Wolfgang Klos, Tobias Kühne und Erich Höbart und nahm an einem öffentlichen Kammermusikseminar mit György Kurtág im Wiener Konzerthaus teil.

Engagements führten das Ensemble unter anderem zum Kammermusikfestival Austria "Allegro Vivo", zum Montafoner Musiksommer sowie zu bekannten Konzertreihen im Stift Stams, in Schwaz und in Innsbruck. Auftritte im SCHÖMER-HAUS Klosterneuburg, Konzerte und Uraufführungen im Rahmen des Festivals "ZeitgeNÖssischer Herbst" und bei dem Festival "Musik Aktuell" sowie CD-Aufnahmen waren wichtige Schritte im Interesse der neuen Musik. 1998 debütierte das Trio im Wiener Konzerthaus sowohl mit Werken der Wiener Klassik als auch im Rahmen des Festivals "Hörgänge".
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