Künstlerische Positionen, die sich mit existenziellen Fragestellungen beschäftigen, stehen im Zentrum der Ausstellung >SCHÖNHEIT
UND VERGÄNGLICHKEIT< im Essl Museum. Der Große Saal wird zu einem Gedankenraum, in dem Werke von Jörg Immendorff, Jannis Kounellis,
Zoran Mušič, Marc Quinn, Daniel Spoerri und Antoni Tàpies zu sehen sind.
Seit Jahrhunderten reflektieren Künstler den Begriff Schönheit, der sich in der westlichen Kultur aus der klassischen Antike
entwickelt hat und erst im 20. Jahrhundert durch die Beschäftigung mit außereuropäischen Kulturen grundlegend in Frage gestellt
wurde. >SCHÖNHEIT UND VERGÄNGLICHKEIT< will nichts postulieren, sondern anhand von Kunstwerken zentrale menschliche Fragestellungen
zur Diskussion stellen und anregen, eigene Vorstellungen zu hinterfragen und sich kontemplativ mit den Inhalten zu beschäftigen.
Was ist schön? Radikal stellt der englische Bildhauer Marc Quinn den klassischen Schönheitsbegriff in Frage, wenn er die Künstlerin
Allison Lapper in weißem Marmor und klassischer Haltung porträtiert, eine Frau, die aufgrund einer Krankheit körperlich stark
beeinträchtigt ist.
In der Ausstellung im Essl Museum werden Kunstwerke gezeigt, die nicht auf den ersten Blick den tradierten Vorstellungen von
Schönheit entsprechen. Am Anfang der Überlegungen stand eine Arbeit von Jannis Kounellis, die dieser 1999 für die Eröffnungsausstellung
des Essl Museums entworfen hat und die, wie so oft bei diesem Künstler, assoziative Verbindungen zum Ort aufweist, hier zur
nahe gelegenen Donau. An einem raumhohen Metallmast (ca. neun Meter hoch) hängen die Teile eines verwitterten Holzbootes.
Hier werden vom Künstler Materialreste vorgeführt, die Geschichte gespeichert haben und in ihrer Vergänglichkeit durchaus
Assoziationen wie Würde und Schönheit zulassen.
Auch bei Daniel Spoerri spielen Alltagsmaterialien und Gegenstände eine bedeutende Rolle für das künstlerische Schaffen. Spoerri
geht bei den Fallenbildern den entgegengesetzten Weg zum malerischen Stillleben, er überführt das Vergänglichste, den Moment,
zum „ewigen“ Leben, präsentiert uns die realen Gegenstände und dreht den Tisch mit allen Resten einer Tafelrunde um 90 Grad.
Der festgehaltene Zustand dieses eingefrorenen Moments am Ende einer Zusammenkunft besteht zum Teil aus Essensresten auf den
Tellern, aus eingetrockneten Getränken und Zigarettenstummeln, in unserem Verständnis also aus Abfall, und dieser Abfall wird
nun Teil der Konservierung des Kunstwerks.
Der 2007 verstorbene deutsche Künstler Jörg Immendorff begann schon im Studium Kunst und Leben miteinander zu verbinden, anders
als Spoerri allerdings in einem radikal politischen Sinn eine der Grundfragen Immendorffs war jene nach der gesellschaftlichen
Relevanz von Kunst. 1997 erfährt der Künstler, dass er an einer seltenen Nervenkrankheit leidet, die zuerst die Gliedmassen
erfasst und unweigerlich zum Tode führt. Nach 2004 kann Immendorff nicht mehr selber malen und leitet Assistenten an, die
seine Bildentwürfe malerisch umzusetzen haben. Diese Werke werden immer mehr zu Reflexionen über die Vergänglichkeit.
Jede der fünfteiligen Bildtafeln von Antonio Tàpies, „Dietari I-V“ („Tagebuch I-V“), aus dem Jahr 2002 steht für sich wie
die losen Seiten eines Tagebuchs, das von alltäglichen, immer gleichen Handlungen berichtet. Schlafen, Essen, Verdauen, Waschen
sind Tätigkeiten des täglichen Lebens und körperlichen Seins, die in der Hingabe der ewigen Wiederholung zu rituellen, spirituellen
Handlungen werden. Das Tagebuch eines Künstlers, der sich durch die Vergewisserung der Lebendigkeit durch Zeichen und alltägliche
Rituale mit grundsätzlichen existenziellen Fragen beschäftigt, mit dem was bleibt, mit dem Essenziellen des Lebens.
Zoran Mušič wird 1909 in Gorizia, im heutigen Slowenien, damals Österreich-Ungarn, geboren. Seit den frühen 1940er-Jahren
lebt er bis zu seinem Tod 2005 vorwiegend in Venedig. Nach dem 2. Weltkrieg schafft der Künstler in erster Linie poetische
Landschaften, die mehr und mehr abstrahiert werden und durch einen immer reduzierteren Farbeinsatz gekennzeichnet sind. In
den frühen 1970er-Jahren entsteht seine berühmt gewordene Bildserie zu eigenen Erlebnissen im deutschen Konzentrationslager
„Nous ne sommes pas les derniers“ („Wir sind nicht die Letzten“). In den Jahren vor seinem Tod schafft Mušič eine Reihe
von Selbstportraits, sowie Doppelportraits mit seiner Frau. Der Künstler setzt für sein Abbild eine äußerste Verknappung der
malerischen Mittel ein. Auf einer ungrundierten groben Leinwand definiert er den Körper ausschließlich durch eine dunkle Konturzeichnung,
nur Hände und Gesicht werden weiß gehöht und damit körperhafter definiert.
Alle Werke der Ausstellung sind im Besitz der Sammlung Essl.