1954 gründete Monsignore Otto Mauer die Galerie St. Stephan in Wien. Sein leidenschaftlicher Einsatz für die damals junge
Kunst führte dazu, dass die Galerie in den 1950er und 60er Jahren zu einem zentralen Ort österreichischer Avantgarde wurde.
Otto Mauer, dessen Todestag sich 2003 zum 30. Mal jährt, war als visionärer und streitbarer Kirchenmann ein bedeutender Förderer
zeitgenössischer Kunst in Österreich. Seine Vorstellung vom Geistigen und Transzendenten in der Kunst wurde in den 50er Jahren
besonders durch die von Frankreich und Amerika beeinflusste informelle Malerei repräsentiert. Mauer sah in den abstrakten
Kürzeln und Zeichen dieser Malerei insbesondere metaphysische Bezüge. Die Gruppe St.Stephan mit den Künstlern Wolfgang Hollegha,
Josef Mikl, Markus Prachensky und Arnulf Rainer wurde 1956 gegründet. Die Künstler bestimmten fast ein Jahrzehnt lang in Absprache
mit Mauer wesentlich das Programm und die Ausrichtung der Galerie, bekamen dort zahlreiche Einzelausstellungen und knüpften
Kontakte zu internationalen Kunstinstitutionen.
1967, zum zwölfjährigen Bestehen der Galerie St. Stephan sagte Josef Mikl zu Otto Mauer: "Starrköpfig und ohne das bei uns oft angeborene Talent zu kleinen Vergleichen, wehrhaft gegenüber Argumenten von Untieren
und Miesmachern, (...) nie ermüdend beim Durchqueren des heimischen Teiges phantastischer Salonmalerei, (...) sind Sie das
Beispiel eines guten Österreichers."
Auf Initiative der Sammlerin Agnes Essl wird den Künstlern der Gruppe St. Stephan diese Ausstellung gewidmet. Die frühen Werke
von Hollegha, Mikl, Prachensky und Rainer repräsentieren die österreichische Avantgarde der Nachkriegszeit. Das Sammlerpaar
Agnes und Karlheinz Essl hat die Arbeit der vier Künstler über Jahrzehnte verfolgt und wichtige Werke und Werkblöcke vieler
Schaffensperioden angekauft, einem langjährigen Sammlungskonzept folgend. Gemäß der Präsenz der Künstler in der Sammlung werden
die künstlerischen Entwicklungen von den informellen Anfängen der 50er Jahre bis heute im Dialog verfolgbar.
Wolfgang Hollegha, 1929 geboren, war 1952 Mitglied der von Arnulf Rainer und anderen Künstlern gegründeten "Hundsgruppe" und
des "Art-Club". Holleghas farbintensive malerische Formfindung geht immer vom realen Gegenstand aus, der sich dann aber vollkommen
zugunsten der Abstraktion auflöst. Es handelt sich um ein Herauslösen einer Form, die für die Ganzheit des Gegenstandes nicht
mehr bedeutsam ist. Ein besonderes Kennzeichen der Werke Holleghas ist der dünne Farbauftrag. Dies rückt ihn in die Nähe der
amerikanischen "colourfield painter". Das Schaffen von Wolfgang Hollegha, der seit 1961 in Wien und in Rechberg in der Steiermark
lebt, ist durch zahlreiche große Ausstellungen im In- und Ausland gewürdigt worden.
Das bestimmende Thema im Werk von Josef Mikl, 1929 geboren, ist immer der Körper. In seinem abstrakten Realismus geht er oft
von Körperteilen, speziell von Gelenken aus und nimmt sie als Grundlage für seine Umsetzung in Malerei. Konkrete, dem Figurativen
verbundene Inhalte bilden so den Ausgangspunkt für Mikls impulsive Farbkompositionen. Die Form des Gegenstandes kann dann
bis zur Unkenntlichkeit zurücktreten, auf sie verweist oft nur mehr der Bildtitel. In Studienblättern und Zeichnungen ist
die Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit der Figur jedoch deutlich nachzuvollziehen.
Starke leuchtende Farben und ein großer Gestus in der Form sind kennzeichnend besonders für die Malerei der letzten Jahre.
Mikl schuf 1997 das Deckenbild und 22 Wandbilder für den Großen Redoutensaal in der Wiener Hofburg.
Der 1932 geborene Markus Prachensky ist ein reisender Künstler. Er erregte im Österreich der späten 50er Jahre durch seine
informellen Aktionen großes Aufsehen. 1959 kam es im Wiener Theater am Fleischmarkt im Vorprogramm einer Malaktion von Georges
Mathieu zur ersten Vorführung der "Peinture liquide", bei der Prachensky mehrere hundert Liter roter Farbe über eine aufrechte
Wand goss. Der Künstler hat vor seinem Studium der Malerei ein Architekturstudium abgeschlossen; seine Bilder scheinen von
diesem architektonischen Denken beeinflusst, sie besitzen selten die spontane Expressivität, die für Arbeiten von Mikl, Hollegha
oder Rainer kennzeichnend ist. Das tektonische Element ist wesentlicher Bestandteil seiner Malerei, wenn auch immer mit Tendenzen
zu Auflösung und Gestik. Prachensky malt zyklische Bildfolgen, die er nach Orten der Entstehung oder nach Orten, mit denen
ihn eine Erinnerung verbindet, benennt.
Arnulf Rainer, geboren 1929, arbeitet seit den 1950er Jahren an einer künstlerischen Form der Unmittelbarkeit, eines Ausdrucks
voll physischer Kraft. Nach strengen Formübungen und Proportionsstudien beginnt er Mitte der 50er Jahre mit fast monochromen
Übermalungen. In den 60er und 70er Jahren werden die Übermalungen, für die er auch Fotos und fremde Kunstwerke benutzt, immer
exzessiver. Rainer arbeitet mit dem Körper, malt mit Händen, experimentiert mit Grenzerfahrungen, oder arbeitet bis zu Zuständen
totaler Erschöpfung. Er ist immer auf der Suche nach dem unmittelbaren Ausdruck, der nicht durch Gelerntes entfremdet wird.
Diese künstlerisch intensive Auseinandersetzung mit dem Existenziellen hat Rainer zu einem der international bedeutendsten
lebenden Künstler Österreichs gemacht.